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"Angezeigt ist gleich angepatzt"

Von Daniel Bischof

Die Präsidentin der Staatsanwälte-Vereinigung über die Politisierung der Justiz und den Bundesstaatsanwalt.


Die Politisierung von Ermittlungen und Staatsanwälten setzt sich im ÖVP-U-Ausschuss fort. Nationalratsabgeordneter Jan Krainer (SPÖ) bezeichnete einen Beamten als den Staatsanwalt, "den die ÖVP sich wünscht, wenn es um heikle Verfahren geht". Die ÖVP sucht nach Fehlleistungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), während die Opposition die Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien im Visier hat. Die "Wiener Zeitung" sprach mit Cornelia Koller, der Präsidentin der Staatsanwälte-Vereinigung, über die Entwicklungen.

"Wiener Zeitung": Frau Koller, wie blicken Sie auf die Politisierung der Staatsanwaltschaften?

Cornelia Koller:Die Konflikte, die in diesem Zusammenhang immer wieder thematisiert werden, betreffen eine Handvoll Personen aus dem Justizumfeld. Es geht nicht einmal um die gesamte WKStA oder OStA Wien, sondern auch dort nur um einzelne Verfahren. Das ist ein Mini-Teil, die Justiz funktioniert zu 98 Prozent reibungslos. Politisch und öffentlich wird es aber stets so dargestellt, als würde es bei diesen Konflikten um die gesamte Justiz gehen.

Wie kommt es dazu?

Es besteht in letzter Zeit in der Politik eine große Motivation, die Staatsanwaltschaften oder die gesamte Justiz in politische Konflikte hineinzuziehen. Strafanzeigen oder Kommentare zu Strafverfahren werden genutzt, um politischen Gegnern zu schaden. Politik und Strafjustiz werden so vermischt. Sachliche Diskussionen sind völlig in den Hintergrund geraten, stattdessen werden stets nur die Skandale gesucht.

Als Journalist lässt sich beobachten, dass sich manche Experten zu Justizthemen teilweise nur mehr zögerlich und ungern äußern. Sie befürchten, da gleich einer Partei zugeordnet zu werden.

Dieses Thema kennen wir auch in der Justiz. Es gibt Besetzungsprobleme bei der WKStA, weil niemand vor den politischen Vorhang gezerrt werden will. Wir machen nun einmal einen Job, wo unsere Entscheidungen meistens einer Seite nicht gefallen. Und dann heißt es, da gibt es rote, schwarze oder grüne Netzwerke. Das schadet unserem Ansehen und nimmt uns das Vertrauen der Öffentlichkeit.

Sie haben zuvor angesprochen, dass Anzeigen oft von Parteien eingebracht werden, um dem politischen Gegner zu schaden. Wie sollte man damit umgehen?

Das Problem ist: Angezeigt ist gleich angepatzt. Wenn jemand angezeigt wird, nimmt die Öffentlichkeit das so wahr, dass da schon etwas gewesen sein wird. Dabei muss die Staatsanwaltschaft bei jeder Anzeige immer erst prüfen, ob Substrat in der Anzeige steckt und ob sie ein Ermittlungsverfahren einleitet. Selbst wenn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, heißt das noch nicht, dass wirklich etwas dahinter ist. Genau zu diesem Zweck ist das Verfahren nicht öffentlich. Wenn Dinge vorzeitig rausgehen, bevor die Staatsanwaltschaft entschieden hat, wie es weitergeht, sehe ich die Gefahr von Vorverurteilungen.

Zu Leaks kommt es aber gerade bei brisanten Verfahren regelmäßig.

Wenn Informationen aus Ermittlungsakten veröffentlicht werden, heißt das nicht automatisch, dass es einen Leak gibt. Die Hauptinteressenten sind oft die Prozessparteien. Ihnen könnten manche Informationen schaden. Daher geben sie diese selbst hinaus - mitsamt einem Spin, um die Berichterstattung in eine Richtung zu drehen. Und leider wird das auch immer wieder im U-Ausschuss von den Parteien benutzt, um Profit zu schlagen. Das ist ja das nächste Problem, dass die Chats aus den U-Ausschüssen ständig mit den Chats aus den Strafverfahren vermischt werden.

Inwiefern?

Wenn manche Chats veröffentlicht werden, heißt es oft: "Warum hat die Staatsanwaltschaft diese Chats, die dürfte sie aus datenschutzrechtlichen Gründen gar nicht haben." Wir haben diese Chats in der Regel auch gar nicht. Wenn wir bei Großverfahren Daten sichten, werden nur jene verschriftlicht und in den Akt genommen, die für das Strafverfahren relevant sind. Jetzt ist es aber so, dass der U-Ausschuss aufgrund eines Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes auch diese restlichen Daten bekommt, die gar nicht in den Strafakt genommen werden.

Wo würden Sie hier ansetzen?

Es geht um die Abwägung von Persönlichkeitsschutz und öffentlichem Interesse. Ich glaube nicht, dass sich das durch neue Gesetze lösen lässt. Es braucht eine Änderung in der Moral der Beteiligten. Es sollte überlegt werden: "Gibt es ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit oder ist die Information rein privater Natur?" Man müsste aber auch die Medienarbeit bei den Staatsanwaltschaften optimieren und den Informationsfluss zur Öffentlichkeit verbessern.

Wechseln wir zur Reform der Weisungskette der Staatsanwälte, die derzeit beim politisch geführten Justizministerium endet. Eine Arbeitsgruppe, der Sie auch angehören, erarbeitet derzeit Modelle für einen unabhängigen Bundesstaatsanwalt. Wie ist da der Stand?

Wir haben als Staatsanwälte-Vereinigung ein Modell vorgelegt. Wir sind für die Einrichtung eines Senats, der aus drei Generalanwälten besteht und bei der Generalprokuratur angesiedelt sein soll. Eine Einzelperson würde alleine auf weiter Flur stehen und von allen Seiten angeschossen werden. Bei einem Dreiersenat ist dieses Problem entschärft.

Was soll der Senat machen?

Er soll nicht über jeden einzelnen Verfahrensschritt entscheiden. Diese Qualitätssicherung soll bei den unteren Instanzen verbleiben. Der Senat soll aber über grundlegende Rechtsfragen und die Einstellung oder Anklage in brisanten Verfahren entscheiden.

Die OStA soll als zweite Instanz bestehen bleiben und der Senat die dritte Instanz, die derzeit das Justizressort darstellt, ersetzen?

Ja, wobei die Dienstaufsicht über die Staatsanwälte beim Ministerium verbleiben soll. Uns geht es um die Prüfung der strafrechtlichen Inhalte und Sachverhalte: Da soll die Kontrolle ausschließlich durch eine unabhängige Weisungsspitze und Gerichte erfolgen.

Diese Konstruktion wird von Eckart Ratz, Ex-Präsident des Obersten Gerichtshofes, kritisiert. Staatsanwälte würden im Gegensatz zu Richtern für die Verwaltung typische Aufgaben erledigen, so seine Ansicht. Daher müssten sie wie die restliche Verwaltung einer demokratischen Kontrolle unterliegen.

Die demokratische Anbindung würde es weiterhin geben. Richter und Staatsanwälte werden vom Bundespräsidenten ernannt, einem direkt demokratisch legitimierten Organ. Auch die Generalanwälte sollen nach unserem Modell von ihm ernannt werden.

Aber es läuft auf eine standesinterne beziehungsweise gerichtliche Kontrolle der Ankläger hinaus.

Derzeit gibt es die Möglichkeit der Bundesregierung, auf Strafverfahren Einfluss zu nehmen. Die Checks and Balances sind nicht sauber getrennt. Über eine parlamentarische Kontrolle von abgeschlossenen Verfahren kann man reden.

Derzeit läuft auch eine Evaluierung zu Großverfahren. Hier ziehen sich Ermittlungen in vielen Fällen über Jahre. Was läuft da schief?

Einerseits funktioniert die internationale Vernetzung bei großen Strafverfahren mit manchen Staaten nicht so gut. Da wird es oft schwierig, die notwendigen Daten zu bekommen. Das zweite große Problem sind die riesigen Datenmengen, es geht da bei einzelnen Verfahren um Terabyte an Daten. Bei dieser Datenprüfung müssen wir schneller werden.

Wie?

Es braucht mehr Leute bei der Polizei sowie den Staatsanwälten, und wir diskutieren über den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Auch sollten wir uns Vorschläge von außen holen. Wenn Deloitte eine große Unternehmensübernahme prüft, können die auch nicht jahrelang nur Daten sichten.

Strafrechtler und Rechtsanwälte bringen aber vor, dass es auch an der staatsanwaltschaftlichen Handarbeit mangle. Es gebe zu wenig Fokus bei den Ermittlungen und auf die Delikte. Beweismittel würden in Bausch und Bogen beim kleinstenVerdacht eingesackt werden.

Bei Wirtschaftsstrafverfahren gibt es oft nicht die Smoking Gun. Die Ermittlungen leben von Chats und dem Nachrichtenverkehr. Ich glaube nicht, dass es eine Lösung ist, wenn wir die privaten Handys nicht mehr sicherstellen.

Über Zufallsfunde auf diesen Handys wird oft diskutiert. Ist die Strafprozessordnung ausreichend auf das digitale Zeitalter ausgerichtet?

Man muss aufpassen bei der Forderung, die Sicherstellung von Daten einzuschränken. Diesen öffentlichen Aufschrei rund um Handydaten gibt es ja auch immer nur bei den Korruptionsverfahren. Wenn wir bei einem Terrorismusverfahren diese Datenmengen nicht sichten würden, würde es sogleich heißen: "Um Gottes willen, warum wird das von den Staatsanwälten nicht überprüft!" Falls es Änderungen braucht, müsste es einen Weg geben, der für alle Delikte passt. Das ist, glaube ich, das Dilemma: Einigen geht es nur darum, diese Daten bei brisanten Korruptionsverfahren zu schützen.