Wien. Begleitet von akustischen Schwierigkeiten ging am Montag ein Mordprozess gegen einen 61-jährigen Mann am Wiener Landesgericht für Strafsachen über die Bühne. Die Staatsanwaltschaft Wien legt ihm das Verbrechen des versuchten Mordes zur Last. Er soll am 10. April 2016 in Wien versucht haben, seine Ehefrau zu töten, indem er acht Mal mit einem Messer auf sie einstach. Nach der Attacke rammte sich der Angeklagte das Messer in seinen Bauch. Er und seine Ehefrau überlebten. Sie flüchtete, indem sie mithilfe von Passanten aus dem Fenster der Wohnung ausstieg. Während der Tat war die vierjährige Tochter der Ehefrau anwesend - sie blieb unverletzt.

"Ich höre nichts", sagt der 61-jährige Angeklagte gleich zu Prozessbeginn. Der gebürtige Türke spricht kaum Deutsch und benötigt einen Übersetzer. Das Mikrofon der Gerichtsdolmetscherin für die türkische Sprache scheint aber nicht - oder nur unzureichend - zu funktionieren.

Statt vor dem Zeugenpult nimmt der Mann deshalb unmittelbar vor dem Schwurgerichtshof (Vorsitz: Richterin Eva Brandstetter) und der Dolmetscherin Platz. Im Laufe der Verhandlung wenden auch Geschworene ein, sie würden akustisch nichts verstehen. Man kann ihre Beschwerden nachvollziehen: Selbst in der ersten Zuschauerreihe ist es stellenweise äußerst schwer, der Verhandlung zu folgen.

Eine Zweckehe

Zu Prozessbeginn steht die persönliche Geschichte des Angeklagten im Vordergrund. 1984 kam er das erste Mal nach Österreich, er kehrte dann aber wieder in die Türkei zurück. Seit 1990 lebt er permanent in Österreich, wo er als Hilfsarbeiter am Bau arbeitete. Zuletzt war er arbeitslos. Mit seiner ersten Frau war der siebenfache Vater 40 Jahre verheiratet, 2012 verstarb sie. Innerhalb eines Monats nach ihrem Tod entschloss er sich laut eigenen Angaben dazu, eine neue Ehefrau zu finden.

Er reiste in die Türkei, wo er seine zweite Ehefrau kennenlernte. Dabei dürfte es sich nach Informationen der Staatsanwaltschaft und Verteidigung um eine arrangierte Zweckehe und keine Liebesheirat gehandelt haben. Der Angeklagte holte seine Frau nach Wien, wo er gemeinsam mit ihr und ihrer Tochter lebte.

Die ersten Monate soll die Ehe durchaus friedlich verlaufen sein und funktioniert haben. Wegen Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Geldausgaben und einer angeblichen Affäre der Ehefrau kam es dann allerdings zu Streitigkeiten.

Sie soll mit einem im selben Haus lebenden Bosnier eine Liebschaft angefangen haben, so der Vorwurf des Angeklagten. Seine Ehefrau bestreitet das vehement. Um Geld und die mutmaßliche Affäre dürfte auch am Tag der Tat gestritten worden sein. Der Streit eskalierte und mündete in der eingangs beschriebenen Messerattacke. "Ich habe mich selbst verloren. Ich wollte das nicht", sagt der 61-Jährige über die Tat.

Die Vorsatzfrage

"Halten Sie es für möglich, dass jemand daran stirbt, wenn man ihm acht Mal ein Messer in den Bauch rammt?", fragt Richterin Brandstetter den Angeklagten. Trotz mehrmaligem Nachfragen erhält sie keine klare Antwort.

Bei einem Mord genügt der sogenannte Eventualvorsatz: Der Täter muss es ernstlich für möglich halten und sich damit abfinden, jemanden anderen durch seine Handlung zu töten.

Rudolf Mayer, der Verteidiger des Angeklagten, sieht diese Voraussetzungen für nicht verwirklicht. Bei der Messerattacke handle es sich um eine absichtlich schwere Körperverletzung, da sein Mandant keinen Tötungsvorsatz gehabt habe. Alternativ sei die Attacke unter einem Totschlag zu subsumieren, da sich der 61-Jährige in einer "allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung" zu seiner Attacke habe hinreißen lassen.

Nach einer gut über eine Stunde dauernden Beratung verurteilen die Geschworenen - sie entscheiden alleine über die Schuldfrage - den Angeklagten wegen absichtlich schwerer Körperverletzung und nicht wegen versuchten Mordes. Die drei Berufsrichter halten das für einen Irrtum und setzten den Wahrspruch der Geschworenen aus.

Die Strafsache wird nun dem Obersten Gerichtshof vorgelegt. Dieser hat den Akt an ein komplett neu zusammengesetztes Geschworenengericht zur neuerlichen Verhandlung zu verweisen. Stimmt der Wahrspruch des zweiten Geschworenengerichtes mit dem des ersten überein, ist eine erneute Aussetzung nicht mehr möglich.