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"Auf den Harntest scheiße ich"

Von Daniel Bischof

Psychotherapeut stellte falsche Drogentests aus. Sein Ex-Verein kooperiert seit 2006 mit Justiz.


Wien. Dieser Fall könnte noch einiges an Staub aufwirbeln: Am Donnerstag wurde am Wiener Straflandesgericht ein Psychotherapeut zu neun Monaten bedingter Haft und einer Geldstrafe von 5580 Euro verurteilt, weil er gegen Bezahlung falsche Drogentest ausstellte. Einzelrichterin Elisabeth Reich befand ihn wegen Begünstigung, Geschenkannahme und Fälschung eines Beweismittels für schuldig. Der Verurteilte war Geschäftsführer eines Vereins, mit dem die Justiz seit 2006 bezüglich dem Entzug von suchtkranken Rechtsbrechern kooperiert (siehe Wissenskasten). Das Urteil ist bereits rechtskräftig.

In Justizkreisen war bereits länger darüber gemunkelt worden, dass bei diesem Verein nicht alles mit rechten Dingen zugehen könne. Daher schleuste man einen verdeckten Ermittler ein. Dieser erklärte dem Psychotherapeuten, dass er unter Kokaineinfluss in eine Verkehrskontrolle geraten sei. Er wolle seinen Führerschein nicht verlieren und benötige eine Bescheinigung für das Verkehrsamt, wonach er nicht süchtig ist. "Auf den Harntest für die Behörde scheiße ich", sagte der Psychotherapeut darauf laut einem Aktenvermerk des Ermittlers. Der Angeklagte bestritt das zunächst, gab es letzten Endes aber doch zu.

Ab April 2015 bezahlte der Ermittler monatlich 200 Euro für einen "sauberen" Befund. "Es ging mir nicht ums Geld. Ich wollte ihn einfach loswerden. Ich wollte meine Ruhe haben", erklärte der Psychotherapeut. Er habe sich Anfang 2015 "in einem Ausnahmezustand befunden". 35 Jahre sei er da schon in der Suchttherapie gewesen: "Das hat natürlich abgefärbt. Ich schlitterte in ein Burnout. Ich habe bemerkt, dass ich mit der Klientel nicht mehr arbeiten konnte. Ich war fertig." Daher habe ihn der verdeckte Ermittler "erfolgreich zu diesem Vergehen verleiten" können.

Auch einem wirklichen Suchtkranken bescheinigte der Psychotherapeut fälschlicherweise, "clean" zu sein. Der 24-jährige Süchtige war wegen mehrerer Delikte vom Landesgericht Wien verurteilt worden. Er bekam einen Strafaufschub, da er sich bereit erklärte, bei dem Verein seine Sucht behandeln zu lassen. Aufgrund des plötzlichen Tods seines Vaters habe er sich von den Drogen nicht trennen können, sagte der junge Mann im Zeugenstand.

Er habe von einem Kollegen gehört, dass "man bei dem Verein eine Scheintherapie machen kann", erzählte der Mann vor Gericht. Zwischen Juli 2014 und Mai 2015 ging er monatlich zum Angeklagten: "Ich hab’ gar nix besprochen. Ich musste keinen Harn abgeben." Für seine "Dienste" habe der Therapeut 150 Euro pro Sitzung verlangt, "die fünf Minuten gedauert hat", so der 24-Jährige. So viel Geld hatte der Süchtige allerdings nicht: "Ich hab’ ihm jedes Mal 100 Euro gegeben. Mehr kann ich mir nicht leisten." Der Angeklagte bestritt, von dem Mann Geld genommen zu haben. Die Richterin glaubte ihm nicht: Der Zeuge sei "glaubwürdig".

"Augen zu und durch"

Befragt wurden auch der nunmehrige Geschäftsführer und ein jüngerer Angestellter des Vereins. Sie hatten dem verdeckten Ermittler einen falschen Befund ausgestellt, als der Angeklagte im Urlaub in Griechenland war. Die lukrierten 400 Euro wurden dem Angeklagten nach dessen Rückkehr übergeben. Er sei schon verwundert gewesen, als er von seinem damaligen Chef den Auftrag dafür bekommen habe, meinte der jüngere Angestellte. "Augen zu und durch" habe er sich allerdings gedacht. "Das war das erste und einzige Mal. Geld habe ich dafür nicht bekommen." Ihm und den Geschäftsführer war nur diese eine Verfehlung nachzuweisen. Ihre Verfahren wurden von der Staatsanwaltschaft diversionell erledigt.

"Wir werden die Kooperation mit dem Verein nun überprüfen", sagte Britta Tichy-Martin, Sprecherin des Justizressorts, der "Wiener Zeitung". Vom betroffenen Verein war keine Stellungnahme zu erhalten. Der Psychotherapeut hatte nach Bekanntwerden der gegen ihn gerichteten Vorwürfe im Sommer 2015 sein Anstellungsverhältnis bei dem Verein verloren. Er ist inzwischen selbständig tätig, aber nicht mehr in der Suchttherapie. Offen ist noch, ob er seine Berufsberechtigung behält.

Seit Jahren setzt die Justiz auf den Grundsatz "Therapie statt Strafe". Suchtmittelabhängigen Rechtsbrechern, die rechtskräftig verurteilt werden, kann ein Aufschub des Strafvollzuges gewährt werden (§ 39 Suchtmittelgesetz). Erklärt sich der Süchtige bereit, eine "gesundheitsbezogene Maßnahme" (Entzugstherapie) zu machen, muss er die verhängte Freiheitsstrafe - sie darf maximal drei Jahre betragen - nicht sofort antreten. Absolviert er diese Maßnahme auch positiv, muss das Gericht die unbedingte Freiheitsstrafe in eine bedingte umwandeln.

Bezüglich dieser Entzugstherapie ist die Justiz auf Kooperationen mit entsprechenden Einrichtungen angewiesen. Laut dem
"Sicherheitsbericht 2016" gibt es insgesamt sieben Vereine beziehungsweise Einrichtungen, mit denen die Justiz in diesem Bereich zusammenarbeitet.