Zuerst war er ganz überrascht, dass der Hauptpreis der Berlinale, der Goldene Bär, nun ihm gehört. "Sind Sie sicher, dass Sie mir diesen Preis überreichen wollen?", fragte Nicolas Philibert bei der Preisgala am Wochenende in Berlin. Er spricht da eine nicht ganz uninteressante Entwicklung an: Auf der Rechnung hatte seinen Film "Sur l’Adamant" nämlich kaum jemand. Hinter den Kulissen wird gemunkelt, der Film sei ein Kompromisskandidat der von Kristen Stewart geführten Jury gewesen, weil man sich nicht auf einen Film einigen konnte.

Wie auch immer: Preis ist Preis. Und den hat der Franzose Philibert für eine Doku bekommen, die sich um eine auf der Seine schwimmende Psychiatrieklinik namens Adamant in Paris dreht, und um ihre Patienten und Ärzte. Ein intensiver und intimer Einblick in eine Welt, die vielen verborgen bleibt.

"Wiener Zeitung": Wie kam es zu diesem Film?

Nicolas Philibert mit seinem Goldenen Bären. - © Berlinale
Nicolas Philibert mit seinem Goldenen Bären. - © Berlinale

Nicolas Philibert: Ich habe vor gut fünfzehn Jahren zum ersten Mal von Adamant gehört, als es sich noch um ein Projekt handelte. Monatelang trafen sich Patienten und Betreuer mit einem Architektenteam, um die wichtigsten Elemente zu definieren. Und was als utopischer Traum begann, wurde schließlich Wirklichkeit. Jahre später, vor etwa sieben oder acht Jahren, hatte ich zum ersten Mal die Gelegenheit, das Adamant zu besuchen. Der Rhizome-Workshop lud mich ein, über meine Arbeit zu sprechen. Rhizome ist ein Gesprächskreis, der jeden Freitag in der Bibliothek stattfindet. Von Zeit zu Zeit, fünf oder sechs Mal im Jahr, wird ein Gast eingeladen: ein Musiker, ein Romanautor, ein Philosoph, ein Ausstellungskurator. An diesem Tag verbrachte ich zwei Stunden vor einer Gruppe, die sich auf meinen Besuch vorbereitet hatte, indem sie sich einige meiner Filme ansah und mich immer wieder aus meiner Komfortzone zwang. Seit meinen Anfängen als Filmemacher habe ich viele Gelegenheiten gehabt, vor Publikum zu sprechen, aber dieses Mal hat mich besonders beflügelt, angespornt durch die Bemerkungen der Anwesenden. Der Wunsch, einen weiteren Film in der Welt der Psychiatrie zu drehen, um zu sehen, "wer ich sonst noch bin", hatte mich schon lange begleitet, und dieser Tag hat mich darin bestärkt.

Was fasziniert Sie so sehr an der Psychiatrie?

Ich war schon immer sehr aufmerksam und interessiert an der Psychiatrie. Es ist eine Welt, die sowohl beunruhigend als auch, ich wage es zu sagen, sehr anregend ist, da sie uns ständig dazu zwingt, über uns selbst, unsere Grenzen, unsere Fehler und die Art und Weise, wie die Welt funktioniert, nachzudenken. Die Psychiatrie ist ein Vergrößerungsglas, ein vergrößernder Spiegel, der viel über unsere Menschlichkeit aussagt. Für einen Filmemacher ist sie ein unerschöpfliches Feld. Darüber hinaus hat sich die Situation der öffentlichen Psychiatrie in den letzten 25 Jahren erheblich verschlechtert: Budgetkürzungen, Schließung von Abteilungen, Personalmangel, Demotivierung der Teams, baufällige Räumlichkeiten, mit Verwaltungsaufgaben überforderte Pfleger, die oft auf die Rolle von einfachen Aufsehern reduziert werden, die Rückkehr zu Isolationsräumen und Zwangsmaßnahmen. Dieser Niedergang war zweifellos eine zusätzliche Motivation, den Film zu machen.

Woran liegt dieser Niedergang?

Es hat nie ein goldenes Zeitalter gegeben, aber von allen Seiten hört man, dass die Psychiatrie am Ende ihrer Kräfte ist und von den Behörden völlig im Stich gelassen wird. Es ist, als ob wir die "Verrückten" nicht mehr sehen wollten. Über sie wird nur noch durch das Prisma ihrer Gefährlichkeit gesprochen, die zumeist herbei fantasiert wird. Die sicherheitsorientierte Rhetorik eines großen Teils der politischen Klasse und einer bestimmten Presse, die schamlos einige vereinzelte Vorfälle ausnutzen, hat offensichtlich damit zu tun. In diesem extrem zerstörten Kontext erscheint ein Ort wie das Adamant wie ein kleines Wunder, und man muss sich fragen, wie lange er noch Bestand haben wird.

Warum haben Sie dann einen Ort gewählt, der nicht repräsentativ für die Situation ist, die Sie beschreiben? Besteht nicht die Gefahr, dass Sie ein unvollständiges Bild der Psychiatrie zeichnen?

Es gibt nicht die eine Form der Psychiatrie, sie ist plural, vielfältig und immer revisionsbedürftig. Die Psychiatrie, die ich zeigen wollte, ist die menschliche Psychiatrie, die immer noch Widerstand leistet und die so sehr bedroht ist. Sie wehrt sich gegen alles, was die Gesellschaft überall zerstört, und versucht dabei, würdevoll zu bleiben.

Wie haben Sie dafür gesorgt, dass Sie akzeptiert werden und eine Kamera dabei sein darf?

Bevor man ernten kann, muss man säen, das Vertrauen derer gewinnen, die man filmen will. Glücklicherweise kannten einige der Pflegekräfte und ein paar Patienten einige meiner Filme. Das hat geholfen. Ich habe mir die Zeit genommen, mein Projekt zu erklären, ohne zu versuchen, meine Bedenken zu verbergen, sondern sie im Gegenteil mit allen zu teilen. Auch das hat geholfen. Sie haben verstanden, dass meine Ansprüche in erster Linie an mich selbst gerichtet waren. Schließlich sahen sie, dass ich bereit war, mich mitreißen zu lassen, dass sich der Film nach den Umständen, den Zufälligkeiten, der Verfügbarkeit und nicht aus einer Position der Überlegenheit heraus aufbauen würde. Am Ende gab es eine ziemlich spontane Akzeptanz. Auch eine große Neugierde. Und bei vielen den Wunsch, dabei zu sein.