Das Verteidigungsministerium hat am Donnerstag den sicherheitspolitischen Bericht "Risikolandschaft Österreich 2022" präsentiert und darin fünf zentrale sicherheitspolitische Herausforderungen für die nächsten zwölf bis 18 Monate herausgearbeitet. Der Krieg in der Ukraine sei "als Teil der größeren Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen" zu verstehen, heißt es in dem 316-seitigen Papier.
Die größten Herausforderungen der kommenden Monate sind
- die Covid-Pandemie und ihre längerfristigen negativen gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Auswirkungen,
- der Versuch Russlands zur unilateralen Umgestaltung der europäischen Sicherheitsarchitektur,
- die sich verschärfenden Krisen im unmittelbaren Umfeld der EU mit besonderem Fokus auf die Entwicklungen in Osteuropa, Westafrika und dem Westbalkan,
- die erwartbare weitere Verdichtung hybrider Einflussnahmen insbesondere durch Cyberattacken und Desinformation und
- das Auftreten neuer resilienzgefährdender Extremereignisse insbesondere Blackout, Versorgungsunsicherheit und komplexer klimaassoziierter Katastrophen.
"Vor dem Hintergrund dieser globalstrategischen Entwicklungen steht die Europäische Union vor der doppelten Herausforderung, sich einerseits auf internationaler Ebene gegenüber anderen Großmächten als eigenständiger Akteur zu behaupten. Gleichzeitig ist die EU gefordert, den inneren Zusammenhalt zu wahren, der durch China in Form finanzieller und wirtschaftlicher Abhängigkeiten und vonseiten Russlands mit militärischen Drohungen und Cyberattacken auf die Probe gestellt wird", heißt es im Bericht.
Neue sicherheitspolitische Ansätze notwendig
Der Krieg in der Ukraine sei "als Teil der größeren Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen" zu verstehen. Er zeige die Schwachstellen auf Seiten der europäischen und transatlantischen Sicherheit auf. Eine Lösung der Konfliktursachen sei nur langfristig denkbar und bedürfe neuer sicherheitspolitischer Ansätze. Für Österreich bedeutet der Krieg Schäden im Wirtschaftsbereich durch Sanktionen und Gegensanktionen sowie ein signifikantes Versorgungsrisiko auf dem Energiesektor.
Eine Herausforderung könnte auch für die Neutralität Österreichs vor allem im Falle einer militärischen Involvierung von NATO-Staaten eintreten, wenn Überflugs- oder Transitanfragen gestellt werden. Dabei ist nicht auszuschließen, dass Österreich auch zum Ziel von Cyberangriffen oder hybriden Maßnahmen werden könnte. Eine militärische Eskalation würde die bestehenden Risiken "Hybride Einflussnahme und Desinformation" und "Versorgungsunsicherheit" verstärken. Außerdem könnte der Eintritt der Risiken "Neutralitätsverletzung", "Blackout" und "Cyberangriffe" wahrscheinlicher werden, heißt es in dem Bericht, der noch vor Beginn des Krieges erstellt wurde.
Spannungen zwischen der EU und China sehr wahrscheinlich
Zudem wird die Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos "Spannungen EU-China" als sehr wahrscheinlich beurteilt. "Es hat das Potenzial für signifikante negative Auswirkungen auf Österreichs Wirtschaft. Dieses Querschnittsrisiko tritt im Risikobild erstmalig in Erscheinung, zumal die Europäische Union 2021 eine Reihe offensiver Maßnahmen gesetzt hat, die im bilateralen Verhältnis mit China zu Spannungen mit erheblicher Folgewirkung geführt haben.
EU-Sanktionen wurden seitens Beijings mit Gegensanktionen beantwortet. Europäische Produzenten und Handelstreibende sind angesichts neuer, restriktiver Gesetzgebung in China mit verstärkter staatlicher Kontrolle konfrontiert. Obwohl sich die bilateralen Spannungen mit China auf demokratiepolitische Teilbereiche konzentrieren, manifestieren sich die Auswirkungen vorrangig im Investitions- und Handelsbereich", lautet die Analyse der Experten.
"Versorgungsunsicherheit" als existenzielle Bedrohung
Das Risiko der "Versorgungsunsicherheit" wird als bereits deutlich wahrnehmbar und eine existenzielle Bedrohung für Österreich angesehen. "Versorgungsunsicherheit beschreibt Störungen, Lücken oder Engpässe in der Verfügbarkeit von Gütern, Rohstoffen, Information und Kapital oder im freien Personenverkehr, die die Sicherung der Grundbedürfnisse von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat beinträchtigen.
Versorgungsunsicherheit kann Österreichs Sicherheit befristet oder dauerhaft, in einzelnen Sektoren oder in umfassendem Sinne gefährden. Ein integrales Verständnis von Sicherheits- und Wirtschaftspolitik ist wichtig, um Ursachen vorzubeugen und sie zu bewältigen." Versorgungsunsicherheit kann aus Pandemien oder aus den Risiken "Blackout" oder "Cyberangriffen" resultieren. Ebenso ist die Versorgungsunsicherheit aufgrund von "Spannungen zwischen der EU und China" bzw. des "Systemkonfliktes zwischen den USA und China" möglich.
Der Risikofaktor "Blackout" wird ebenfalls weiterhin als wahrscheinlich beurteilt. "Ein Eintritt des Risikos würde Österreich sowohl wirtschaftlich nachhaltig schädigen als auch zumindest kurzfristig die innere Sicherheit massiv bedrohen", so der Bericht. (apa)