London. (reu/afp/red) Vor einer Woche schien es ganz schlecht um die politische Zukunft von Theresa May zu stehen. Zwei Minister und fünf hochrangige Regierungsmitarbeiter waren zurückgetreten, weil sie den vorgestellten Entwurf des EU-Austrittvertrages Großbritanniens nicht mittragen wollten. Jacob Rees-Mogg, der reaktionäre Hinterbänkler und Brexit-Hardliner, entzog seiner Parteichefin öffentlich das Vertrauen, andere taten es ihm gleich. May zeigte sich davon ungerührt. Die 62-Jährige änderte aber ihre Argumentationslinie und drohte, sollte es keinen Brexit-Vertrag geben, könnte der Austritt aus der Europäischen Union komplett entfallen. Und siehe da, die für den Misstrauensantrag nötigen 48 Stimmen haben Rees-Mogg und Getreue bis dato nicht beisammen.
Entschlossen und unbeirrbar im Auftreten, das ist typisch für Theresa May. Aber auch, dass die eigene Position möglichst im Unklaren bleibt oder bei Bedarf schnell entsorgt werden kann. Lange Zeit präsentierte May keine klare Linie bei ihren Brexit-Verhandlungen. Ihr wurde vorgehalten, rhetorisch geschickt wenig Inhalt in viel Verpackung zu hüllen. Das renommierte Magazin "Economist" erschien mit einem Foto von ihr auf der Titelseite und der Überschrift: "Theresa Maybe" - "Theresa Vielleicht".
Ein Fähnchen im Brexit-Wind
Im Anlauf zur Brexit-Volksabstimmung im Sommer 2016 unterstützte sie das Lager um Premier David Cameron für einen Unionsverbleib, blieb aber EU-kritisch. Sie wollte es sich mit keiner Seite verderben. Das machte sie zur idealen Kompromisskandidatin für die zerstrittenen Konservativen, als Cameron nach dem Brexit-Votum zurücktrat. May verkündete, sie wolle das Ergebnis des Volksentscheids umsetzen: "Brexit heißt Brexit. Und wir machen einen Erfolg daraus." Im Juli 2016 wurde sie dann Partei- und Regierungschefin.
May hänge die Fahne nach dem Wind, um politische Lager zu besänftigen und für sich das Beste herauszuholen, kritisierte Simon Hix von der London School of Economics and Political Science. "Einmal tritt sie für einen harten Brexit ein, dann für einen etwas weicheren", sagte der Politikwissenschafter.
Zu Mays Verteidigung muss aber auch gesagt werden, dass bei den britischen Tories sehr eigenwillige Köpfe am Werk sind. Personen mit formell exzellenter Bildung, die den Ernst politischer Entscheidungen unterschätzen und lieber wie im Debattierklub die intellektuellen Messer wetzen. Zuallererst gilt das für Boris Johnson, den Ex-Bürgermeister von London und früheren Außenminister. Dazu kommt das Trauma der konservativen Parteispaltung 1846. Die Einheit der Tories ist seitdem zentral für jeden Vorsitzenden, auch um den Preis der ideologischen Beliebigkeit.