Brüssel/Berlin. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sich erwartungsgemäß gegen Neuverhandlungen des Brexit-Vertrags ausgesprochen. Vor dem Europaparlament sagte Juncker Mittwochnachmittag, die Gefahr für einen ungeordneten Austritt Großbritanniens sei weiter gestiegen. Die gestrige Abstimmung im britischen Parlament ändere aber nichts. Die EU müsse nun geeint bleiben. "Es ist mehr als je zuvor wichtig, dass die EU geschlossen und geeint ist", sagte Juncker. Aber er sei gleichzeitig Optimist. "Und ich glaube an die demokratischen Institutionen. Deshalb glaube ich auch, dass wir mit Großbritannien ein Abkommen bekommen werden." Dazu werde Tag und Nacht weitergearbeitet.
Er habe zuletzt den Eindruck gehabt, dass beim Backstop versucht worden sei, dass 26 Staaten diese Vereinbarung aufgeben und Irland das dann in letzter Minute auch mache. "Aber das Ganze ist kein Spiel, das ist keine rein bilaterale Frage. Es geht im Kern darum, was es bedeutet, Mitglied der EU zu sein. Die irische Grenze ist eine europäische Grenze und eine Unionspriorität", betonte der Kommissionspräsident. Juncker zeigte sich ernüchtert, dass nach den Abstimmungen die EU zwar wisse, was die Briten nicht wollten. "Aber noch immer nicht, was genau das Unterhaus eigentlich möchte." Das Konzept der Alternativvereinbarung sei nicht neu. Aber dies sei keine praktische Lösung. Jedenfalls werde die EU angesichts der gestiegenen Gefahr eines ungeordneten Austritts der Briten alles tun, um sich darauf vorzubereiten - "auf alle Szenarien, auch auf das Schlimmste".
EU-Chefverhandler Michel Barnier sagte, die britische Premierministerin habe tags zuvor erstmals für Neuverhandlungen plädiert. Noch vor Ende der Abstimmung im Parlament. "Sie hat sich von dem Abkommen, das sie selbst mit ausverhandelt hat, distanziert", kritisierte Barnier.
Regelung für Nordirland
Die Mehrheit der Abgeordneten im britischen Unterhaus sieht das völlig anders. Sie statteten May am Dienstagabend mit einem Mandat aus, den Vertrag vor allem mit Blick auf die Regelung für Nordirland neu zu verhandeln. Angesichts des Widerstands in der EU schürt das die Ängste in der Wirtschaft vor einer Scheidung ohne Abkommen, also einem ungeordneten Brexit am bislang angesetzten Austrittsdatum, dem 29. März. "Die deutsche und insbesondere die britische Wirtschaft steuern hier auf ein gewaltiges Desaster zu", warnte der Präsident des Außenhandelverbands BGA, Holger Bingmann. Wirtschaftsminister Peter Altmaier rief dazu auf, die nächsten Tage zu nutzen, um einen Brexit ohne Abkommen zu verhindern. Die Bundesregierung rechnet inzwischen für das laufende Jahr wegen Risiken wie dem Brexit mit dem geringsten Wirtschaftswachstum seit 2013.
"Ich hoffe, dass wir einen harten Brexit verhindern können", sagte auch EU-Parlamentspräsident Tajani vor Reportern. Man könne sich jedoch nur schwer vorstellen, "dass wir einen Deal neu verhandeln, der bereits von den EU-Mitgliedstaaten angenommen wurde".
Maas: "Die Zeit wird knapp"
Das britische Parlament hatte sich am Dienstagabend zugleich gegen einen Brexit ohne Abkommen ausgesprochen, schloss aber eine Fristverlängerung über den 29. März hinaus aus. Es pocht auf Änderungen an der Auffanglösung, die die Wiedereinführung einer harten Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland verhindern soll. Darunter würde nicht nur der Handel zwischen den beiden Staaten leiden, es wird auch ein Wiederaufflammen des Nordirland-Konflikts befürchtet.
Maas sagte der Funke Mediengruppe, die EU stehe bei dem sogenannten Backstop fest an Irlands Seite. "Wir werden nicht zulassen, dass Irland in dieser Frage isoliert wird." Die britische Regierung müsse zügig sagen, welche Änderungen sie sich beim Backstop vorstelle, "denn die Zeit wird knapp". Der Brexit-Koordinator des EU-Parlaments, Elmar Brok, sagte, es gehe Teilen des britischen Parlaments gar nicht um eine Einigung. Die Backstop-Regelung werde zu 99 Prozent niemals greifen. Das wüssten auch die Briten. Die EU müsse hart bleiben, um den Binnenmarkt zu bewahren.
Coveney: Keine Alternative zur Notfalllösung
Auch Irlands Außenminister Simon Coveney sieht keine Alternative zu der vereinbarten Notfalllösung. Bei den zweijährigen Verhandlungen habe man nach anderen Wegen gesucht, um eine harte Grenze auf der Insel zu vermeiden, sagte er dem Staatsrundfunk RTE. Es sei keiner gefunden worden. "Und jetzt haben wir eine britische Premierministerin, die wieder für die gleichen Dinge wirbt, die wir geprüft haben."
Der britische Brexit-Minister Stephen Barclay warnte in der BBC, sein Land werde am 29. März ohne Abkommen aus der EU ausscheiden, "außer wir können uns auf etwas einigen". Das rief umgehend die Opposition auf den Plan. Labour-Chef Jeremy Corbyn werde bei einem Treffen mit May darauf bestehen, "dass der Wille des Parlaments respektiert wird und dass ein No-Deal jetzt vom Tisch ist", sagte ein Labour-Vertreter. Barclay zufolge soll das Treffen im Laufe des Tages stattfinden. Am frühen Abend ist ein Telefonat Mays mit EU-Ratspräsident Donald Tusk geplant. Dieser hat bereits über einen Sprecher erklären lassen, dass die EU Nachverhandlungen ablehne.