London/Sharm el-Sheikh. (sig) Werden die Briten den EU-Austritt verschieben? Diese Frage drängt sich angesichts eines drohenden harten Brexit in knapp fünf Wochen in den Vordergrund. Nachdem der "Daily Telegraph" am Montag berichtet hatte, dass die Regierung in London bereits an dieser Idee arbeite, wollte es auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel wissen: Ob sie plane, in Brüssel um eine Verschiebung des Brexit anzusuchen, fragte Merkel ihre britische Amtskollegin Theresa May beim Frühstück in Sharm el-Skeik. Eigentlich waren die beiden Regierungschefinnen zum Gipfel der EU und der Arabischen Liga nach Ägypten gekommen, um über Konflikte in der arabischen Welt zu sprechen. Doch am Brexit führt dieser Tage kein Weg vorbei.

Zu Mittag bestätigte dann ein Regierungssprecher in London: Ja, Mays Kabinett spiele verschiedene Optionen durch, darunter auch eine Verschiebung des Brexit um bis zu zwei Monate. Der britische "Guardian" berichtete unter Berufung auf EU-Diplomaten, dass der Brexit sogar bis zum Jahr 2021 hinausgezögert werden könnte.

Eigentlich hatte Premierministerin May immer wieder gesagt, dass ihr Land die EU am 29. März verlassen wird. Dabei würde sie auch gerne bleiben, doch drohen nun einige Minister, am Mittwoch im Unterhaus für eine Verschiebung des Brexit zu stimmen, um einen "No Deal" mit chaotischen Folgen zu verhindern. Der Plan, eingebracht von einer parteiübergreifenden Gruppe um die Labour-Abgeordnete Yvette Cooper, sieht vor, dass May das Austrittsdatum nach hinten rücken muss, sollte sie bis Mitte März keinen Erfolg mit ihrem Austrittsabkommen haben.

Im Unterhaus war Mays Deal Ende Jänner grandios gescheitert, selbst von ihren eigenen Tories stimmten mehr als 100 dagegen.

Brüssel für Verschiebung

Die Abgeordneten stoßen sich am "Backstop", jener Notlösung, die eine harte Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland vermeiden soll. London will den Backstop aus dem Austrittsabkommen entfernen oder zumindest zeitlich begrenzen - was Brüssel ablehnt. Beobachter gehen deshalb davon aus, dass es zu einer "kreativen Lösung" kommen wird. Wie genau die aussehen könnte, ist zwar unklar, aber eine Verschiebung des Brexit könnte zumindest die dafür nötige Zeit schaffen.

Brüssel würde einer Verschiebung des Brexit nicht im Weg stehen. Ratspräsident Donald Tusk sprach am Montag von einer "vernünftigen Lösung". Je weniger Zeit bis zum 29. März bliebe, desto wahrscheinlicher werde eine Verlängerung der Austrittsfrist.

Bisher spielte May auf Zeit: Sie spekulierte damit, dass die Abgeordneten ihrem Deal schon noch zustimmen würden, um einen No-Deal Brexit abzuwenden. Doch das Kalkül ist nicht aufgegangen. Ein EU-Austritt ohne Abkommen würde die nationale Sicherheit schwächen, die Wirtschaft stark schädigen und könnte zum Zerfall des Königreichs führen, schrieben drei von Mays Ministern nun in der "Daily Mail". Die Premierministerin solle aufhören, den No-Deal-Brexit als Verhandlungstaktik einzusetzen.

"Das ist real! Wachen Sie auf!"

Auch mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sprach May am Montag in Sharm el-Sheik über den Brexit. Der Meinungsaustausch sei "konstruktiv" gewesen, hieß es danach aus Brüssel. Auf die Frage, ob er noch Angebote für die Briten in der Hinterhand habe, meinte Juncker am Sonntag: "Ich habe eine gewisse Brexit-Müdigkeit."

Deutlicher aufgeweckter trat der niederländische Premier Mark Rutte auf. May und die EU "schlafwandeln in ein No-Deal-Szenario", sagte er laut BBC zu Theresa May. "Wachen Sie auf! Das ist real. Kommen Sie zu einem Ergebnis!"