Glaubt man der britischen Regierung, dann steht ein Durchbruch im Brexit-Streit unmittelbar bevor. Nicht etwa, weil die Parteien in London sich einig werden. Sondern weil Brüssel endlich verstanden hat, dass es den Briten Zugeständnisse machen muss. So meint Außenminister Jeremy Hunt, die EU sende "positive Signale", was eine Änderung des Scheidungsdeals zwischen London und Brüssel betrifft. Das britische Unterhaus will ihn nicht annehmen, viele Abgeordnete lehnen den "Backstop" ab. Die Notlösung zur Vermeidung von Grenzkontrollen in Irland käme zum Zug, falls Großbritannien und die EU bis Ende 2021 kein neues Handelsabkommen vereinbart hätten.

Deswegen, so der Tenor aus London, müsse Brüssel einwilligen, den Backstop zeitlich zu begrenzen oder ihn ganz zu streichen. Doch die EU ist nicht bereit, den Brexit-Vertrag noch einmal aufzuschnüren.

"Die Zeit drängt", bemerkt Hunt ganz richtig. "Aber verglichen damit, wo wir vor einem Monat waren, hat sich die Situation in eine positive Richtung entwickelt." Wohin genau es dabei geht, verrät der Außenminister freilich nicht. Tatsache ist, dass es auch in den vergangenen Tagen keine Signale für Kompromissbereitschaft gab - von keiner Seite. Zwar berichteten etliche Medien, dass der EU-Chefverhandler für den Brexit ein gewisses Entgegenkommen signalisiert hätte. Doch bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus: Michel Barnier hat lediglich höflich formuliert, was bereits allen klar sein sollte. Wenn er zur Zeitung "Die Welt" sagt, dass es "die Zusage einer Begrenzung des Backstops durch ein Abkommen über die künftige Beziehung" geben könne, dann wiederholt Barnier lediglich die Eckpunkte des Scheidungsabkommens: Sobald es Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Königreich gibt, wird der Backstop ohnehin obsolet.

Minderheit für harten Brexit

Wie kann es also weitergehen? Angenommen, sowohl Brüssel als auch das Parlament in London bleiben unnachgiebig: Einen No-Deal-Brexit wollen beide Seiten dennoch vermeiden. Für die Alternativen, darunter ein zweites Referendum, gibt es keine Mehrheit in Westminster. Eine Variante hat Premierministerin Theresa May bisher überhaupt nicht in Betracht gezogen: eine engere Anbindung des Königreichs an die EU. Leicht würde es nicht, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass sich dafür eine parteiübergreifende Mehrheit findet.

Das Problem: May hat von Anfang an auf eine kleine, aber mächtige Gruppe innerhalb ihrer konservativen Tories gehört: Die Brexit-Hardliner von der European Research Group (ERG) wollen einen möglichst harten Bruch mit der EU. Als May, damals neu im Amt, immer wieder betonte, kein Deal wäre besser als ein schlechter Deal, sprach sie mit der Stimme der ERG. Es sind Abgeordnete wie Jacob Rees-Mogg und Steve Baker, die May vor sich hertreiben - und das Land an den Rand des No-Deal-Abgrunds geführt haben.

Baker, so etwas wie der Motor der ERG, war den Tories beigetreten, um für den Brexit zu kämpfen. Seit er Mays Kabinett verlassen hat, konzentriert er sich ganz darauf, die Premierministerin unter Druck zu setzen. Dass sie den Backstop nicht neu verhandeln kann, weil Brüssel das ablehnt, hindert Baker nicht, genau das von ihr zu fordern. Innerhalb der Tories ist die ERG zwar nur eine Minderheit. Dennoch bestimmt sie die Debatte federführend mit.

Doch mit den Hardlinern ist keine Lösung in Sicht. Will May vorankommen, muss sie sich von den "Brextremisten" distanzieren und Alternativen aufzeigen. Gelingt es ihr, eine parteiübergreifende Koalition der Vertrags-Willigen auf die Beine zu stellen, dann ist auch eine engere Anbindung an die EU nicht ausgeschlossen. Macht sie hingegen weiter wie bisher, dann könnte der Streit ihre Partei sprengen - und Rees-Mogg sie beerben. Viele Konservative sehen den Brexit-Hardliner bereits als Mays Nachfolger.