London/Brüssel. Mit sich überschlagender, heiserer Stimme versuchte die britische Premierministerin am Dienstagnachmittag einmal mehr, das Parlament in London von ihrem Brexit-Deal zu überzeugen. Immer wieder musste Theresa May innehalten, um die empörten Zwischenrufe der Abgeordneten abzuwarten. Die Worte des Generalstaatsanwalts Geoffrey Cox, der zuvor zu den Parlamentariern gesprochen hatte, waren May keine Hilfe gewesen. Die rechtlichen Risiken bei einem Backstop bestünden "unverändert", sagte Cox. Das Königreich habe im Fall von "unüberwindbaren Meinungsverschiedenheiten" mit der EU weiterhin keine rechtliche Handhabe, um aus dem Backstop auszusteigen.
May bemühte sich dennoch, den in der Nacht zuvor mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker ausgehandelten Kompromiss als ihren persönlichen Sieg im Brexit-Streit darzustellen. Ein echtes Zugeständnis an London war dieser Kompromiss in letzter Minute allerdings nie. Der Austrittsantrag, den neu zu verhandeln Mays Ziel gewesen war, bleibt davon unangetastet. Auch der Backstop, der Grenzkontrollen auf der irischen Insel verhindert, ist nach wie vor enthalten.
Theater zur Gesichtswahrung
Das Ganze wirkte eher wie ein Theaterstück, inszeniert für die britische Innenpolitik. Es sah aus wie der Versuch der Gesichtswahrung auf beiden Seiten: May konnte ihren Abgeordneten etwas Neues bieten - und die EU blieb bei ihrer viel beschworenen Ankündigung, das Austrittsabkommen nicht wieder aufzuschnüren.
Dass der Kompromiss hauptsächlich von symbolischen Wert ist, das zeigten auch die Reaktionen der irischen Regierung und der nordirischen DUP. Premier Leo Varadkar gab sich zufrieden mit der Entscheidung: Die Zusicherungen aus Brüssel änderten nichts am ausgehandelten Brexit-Vertrag. Und die Protestanten von der DUP sowie die Brexit-Hardliner unter den Tories kündigten schon am Dienstagnachmittag an, gegen Mays Deal zu stimmen. Ihnen gingen die Zusicherungen Brüssels nicht weit genug.
Keine 24 Stunden vor der Abstimmung im britischen Parlament über das Austrittsabkommen zwischen London und Brüssel hatten May und Juncker ihren Kompromiss zum Backstop präsentiert. Er sollte es May erleichtern, ihren Deal durchs Parlament zu bringen. Die britische Premierministerin saß blass daneben, als Juncker mit zittriger Stimme erklärte, was in mühsamer Detailarbeit ausgehandelt wurde: Das "rechtsverbindliche Instrument" garantiere, dass die Rückversicherungslösung für die irische Grenze nur eine Übergangslösung sei - so viel war allerdings schon zuvor klar gewesen. Sollte der Backstop je gebraucht werden, so Juncker, dann werde er keine Falle sein: "Wenn eine der beiden Seiten in böser Absicht handeln würde, gibt es einen rechtlichen Weg für die andere Partei, auszusteigen." Sollte die EU also versuchen, das Vereinigte Königreich im Backstop (und damit in der Zollunion) zu halten, könnte London ein Schiedsgericht anrufen. Erst, falls dieses im Sinne Londons entscheidet, dürfte das Königreich aus dem Backstop aussteigen. Dass es keine weiteren Zugeständnisse an die Briten geben werde, das machte Juncker ebenfalls deutlich. "Eine dritte Chance wird es nicht geben", sagte der Kommissionschef bei der Pressekonferenz in Straßburg.