"Wiener Zeitung": London möchte den Brexit bis Ende Juni vertagen, aber für EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker kommt eine Verschiebung über den 23. Mai hinaus nicht in Frage. Was ist in dieser Zeit überhaupt möglich?

Tom Hanney ist seit 2017 irischer Botschafter in Wien. Zuvor war er unter anderem im North South Ministerial Council tätig, das sich für den Friedensprozess nach dem Nordirlandkonflikt einsetzt. - © Botschaft von Irland
Tom Hanney ist seit 2017 irischer Botschafter in Wien. Zuvor war er unter anderem im North South Ministerial Council tätig, das sich für den Friedensprozess nach dem Nordirlandkonflikt einsetzt. - © Botschaft von Irland

Tom Hanney: Theresa May will sie nutzen, um ihr Austrittsabkommen doch noch durchs Parlament zu bringen. Irland steht einer Verlängerung offen gegenüber und unterstützt jeden Versuch, der zu einem geordneten Brexit führen könnte.

Dublin spielt im Brexit-Streit eine zentrale Rolle. Eine harte Grenze zwischen Irland und der britischen Provinz Nordirland soll unter allen Umständen verhindert werden.

Der irischen Regierung geht es darum, den Friedensprozess in Nordirland zu schützen und eine harte Grenze in Irland zu verhindern. Wird das Austrittsabkommen akzeptiert, haben wir eine Übergangsphase von zwei bis drei Jahren, in der die künftigen Beziehungen verhandelt werden können. Der berühmte Backstop ist nur eine Notlösung: Falls wir uns in der Übergangsphase nicht einigen, kommt er ins Spiel - und das Vereinigte Königreich bleibt in der Zollunion der EU.

Daran stoßen sich viele Abgeordnete in Westminster. Wegen des Backstop haben sie Mays Brexit-Deal abgelehnt. Halten Sie ihn dennoch für lebendig?

Ja, der Deal lebt. Bis der Parlamentspräsident Anfang der Woche meinte, dass May denselben Deal nicht noch einmal zur Abstimmung bringen darf, war zu erwarten, dass es ein Votum diese Woche und vielleicht noch ein weiteres Ende des Monats geben wird. May hoffte, dass der Widerstand dagegen weniger wird, je näher der Brexit rückt. Sie drohte mit einer langfristigen Verschiebung, wenn das Unterhaus ihren Deal nicht annimmt. Dublin vertritt die Position, dass das Austrittsabkommen die beste Lösung ist. Es liegt im Moment nichts anderes auf dem Tisch und wir hoffen, dass es doch noch durchgeht.

Ist das in so kurzer Zeit überhaupt möglich?

Es wäre hilfreich zu wissen, wozu die zusätzliche Zeit genutzt werden soll. Es hilft niemandem, die aktuelle Verwirrung während der kommenden Monate weiterzutreiben. Nach drei Jahren brauchen wir endlich Gewissheit.

Hat Dublin je um die Solidarität der restlichen Mitgliedstaaten gefürchtet? London hat ja versucht, die EU-Länder beim Thema Backstop zu spalten.

Die Mitgliedstaaten waren sich von Anfang an einig, dass die Irlandfrage essenziell ist. In London war man überrascht darüber, wie sehr die EU hier zusammengehalten hat: Es darf keine harte Grenze auf der irischen Insel geben. Diese Frage wurde während des Wahlkampfs vor dem Referendum überhaupt nicht behandelt. Als sie dann auftauchte, war Großbritannien verblüfft. Kein EU-Land hat je darauf gedrängt, dass wir hier Kompromisse eingehen sollten. Das Interesse daran, dass Nordirland nicht destabilisiert wird, ist in der gesamten EU groß.