London/Brüssel. Im Ringen um Mehrheiten im britischen Parlament hat Premierministerin Theresa May Abgeordneten ihrer eigenen Partei den Rücktritt versprochen, wenn diese für ihre Vorschläge stimmen.
Der Abgeordnete Nigel Evans hatte im Vorfeld dem Rückzug Mays verlangt, um so doch noch eine Verabschiedung ihres Brexit-Deals erreichen zu können. "Ich ermutige sie dazu, einen Zeitplan für ihren Rückzug vorzulegen", sagte Evans der BBC. Dann könnten sich "viele Menschen hinter ihr Abkommen stellen".
Unter dieser Voraussetzung findet nun eine wegweisende Abstimmung über Alternativen zum Brexit-Vertrag statt: Der britische Parlamentspräsident John Bercow hat dafür acht von 16 Optionen für Brexit-Alternativen ausgewählt.
Dazu gehören Vorschläge über die Ausgestaltung der künftigen Handelsbeziehungen zur EU und zu einem zweiten Referendum. Ziel ist es herauszufinden, welche Vorlagen im Unterhaus mehrheitsfähig sind.
Zu den acht Optionen gehören der Vorschlag, am 12. April ohne Abkommen auszuscheiden, mehrere Versionen einer engeren Anbindung an die EU, ein zweites Referendum und eine Abkehr vom EU-Austritt, um einen No-Deal-Brexit zu verhindern.
Den Abgeordneten soll eine Liste vorgelegt werden, auf der sie mehrere Präferenzen angeben können. Sie können sich für so viele Optionen aussprechen, wie sie wollen. Die Ergebnisse sollen zwischen 22 und 23 Uhr bekanntgegeben werden.
"Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Abstimmung heute eine Mehrheit für das bringen wird, was sein wird", sagte der Tory-Abgeordnete Oliver Letwin der BBC. "Aber ich hoffe, dass wir bis Montag in der Lage sind, eine Mehrheit für einen oder mehrere Vorschläge zu bekommen." Die Vorschläge, die im Unterhaus die größte Unterstützung bekommen, sollen voraussichtlich am Montag erneut ins Plenum kommen.
Der Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg äußerte sich zur Unterstützung von Mays Brexit-Vertrag bereit, wenn auch die nordirische Unionistenpartei DUP dafür ist. "Ich würde die DUP nicht im Stich lassen, weil ich denke, dass sie die Wächter der Einheit des Vereinigten Königreiches sind", sagt er der BBC. Die DUP, auf deren Stimmen May angewiesen ist, bleibt dagegen bei ihrer Ablehnung von Mays Abkommen. Die Position sei unverändert, "nichts hat sich verändert", sagt ein Sprecher.
May erlitt mehrere Niederlagen
Das Unterhaus hat das Abkommen bereits zweimal mit deutlicher Mehrheit verworfen. Eine dritte Abstimmung ist derzeit aufgrund der geringen Erfolgsaussichten nicht angesetzt. "Wenn wir den Vertrag ein drittes Mal ablehnen, gibt es die echte Gefahr, dass wir niemals die EU verlassen", warnte der Brexit-Befürworter und Ex-Minister Boris Johnson im Daily Telegraph.
Nimmt das Unterhaus den Brexit-Vertrag von May doch noch an, wird der EU-Austritt des Landes auf den 22. Mai verschoben. Ohne einen Beschluss müsste London die EU bis zum 12. April über das weitere Vorgehen informieren. Konkret geht es um die Entscheidung, ob das Vereinigte Königreich an der Europawahl Ende Mai teilnimmt oder nicht. Bei einer Teilnahme müsste das Austrittsdatum noch einmal verschoben werden.
EU-Ratspräsident Donald Tusk plädierte am Mittwoch eindringlich dafür, Großbritannien an der Europawahl teilnehmen zu lassen, wenn eine längere Verlängerung der Brexit-Frist notwendig wäre. Einige im EU-Parlament würden dies für schädlich halten, aber "so eine Denkweise ist nicht akzeptabel", betonte Tusk im Europaparlament in Straßburg. Tusk betonte, man könne sechs Millionen Briten, die eine Petition für den Verbleib ihres Landes in der EU unterzeichnet haben, nicht im Stich lassen. Diese Menschen müssten auch vom Europaparlament vertreten werden, "denn sie sind Europäer".
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker verglich die britische Politik mit einer Sphinx. "Wenn wir Großbritannien mit einer Sphinx vergleichen, stellt die Sphinx ein offenes Buch dar."
Der EU-Brexit-Chefverhandler Michel Barnier rief Großbritannien auf, "eine Wahl für seine Zukunft zu treffen und endlich die Verantwortung für die Konsequenzen zu übernehmen". Im EU-Parlament in Straßburg betonte Barnier am Mittwoch: "Niemand in Brüssel will den Brexit zurücknehmen, niemand will dem britischen Volk dieses Abstimmungsergebnis aberkennen." Man müsse jetzt sehen, was im britischen Unterhaus geschehe. "Bis 11. April ist alles möglich", so Barnier in Hinblick auf die von der EU gesetzte neue Brexit-Frist bis 12. April.
EVP-Fraktionschef Manfred Weber nannte die Entscheidung des EU-Gipfels eine gute, weil der Grundsatz beherzigt worden sei, keine Verlängerung ohne Klärung zu gewähren. Der sozialdemokratische Fraktionschef Udo Bullmann wandte sich an die Brexiteers: "Wann habt ihr den Anstand, euch zu entschuldigen beim britischen Volk für das, was ihr ihm angetan hat?", so Bullmann. "Ihr belügt die Leute, und wisst nicht, wie es weitergehen soll."
In einem Interview hatte Weber zuvor die Europa aufgefordert, achtzugeben, "dass das Brexit-Chaos nicht ganz Europa ansteckt". Die Europawahl Ende Mai dürfe auf keinen Fall gefährdet werden, sagt der CSU-Politiker den Partner-Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft (Mittwochausgabe). Notfalls werde die EU auch einen harten Brexit - ohne Austrittsabkommen - in Kauf nehmen. "Manchen bei uns könnte irgendwann der Geduldsfaden reißen."
Kneissl: Sind vorbereitet
Der Ministerrat hat am Mittwoch unterdessen die Brexit-Verordnung des Außenministeriums beschlossen. Damit wird festgelegt, dass Briten, die bereits in Österreich leben, keine Sprach- und Wertekurse nachholen müssen, wie Außen- und Integrationsministerin Karin Kneissl (FPÖ) vor Journalisten erklärte. Im Lichte der unklaren Situation bekräftigte sie, dass Österreich "für alle Szenarien vorbereitet" sei. (apa, reuters, afp)