London. Das britische Parlament hat gesprochen – und Nein gesagt. Am Freitag will das Unterhaus ein drittes Mal abstimmen, allerdings nicht über den gesamten Brexit-Deal von Premierministerin Theresa May, sondern nur über Teile des umstrittenen Austrittsabkommens aus der EU.

Zuvor hatte Parlamentspräsident John Bercow einer weiteren Abstimmung über einen gleichen Antrag einen Riegel vorgeschoben mit der Feststellung, dass aus Verfahrensgründen nicht immer wieder über dieselbe Vorlage abgestimmt werden könnte. Donnerstagabend teilte er mit, die jetzige Vorlage der Regierung unterscheide sich "substanziell" von den vorhergehenden Anträgen. Konkret werde das Unterhaus nur über den Ausstiegsvertrag votieren, nicht aber über die dazugehörige politische Erklärung über die künftigen Beziehungen mit der EU, erklärte die Beauftragte des Kabinetts für Parlamentsangelegenheiten, Andrea Leadsom.

Die Europäische Union hatte sich bereit erklärt, das ursprünglich auf Freitag festgesetzte Datum für den Austritt auf den 22. Mai zu verschieben, wenn das Brexit-Abkommen angenommen werde. Nach Darstellung der Regierung erfüllt die nun stattfindende Abstimmung die Bedingungen für die Verschiebung, ohne das Abkommen als Ganzes ratifizieren zu müssen.

May hatte bereits zwei Mal erfolglos versucht, das Gesamtpaket durch das Parlament zu bringen. Um doch noch Zustimmung zu erhalten, hatte sie am Mittwoch erklärt, sie werde ihr Amt vorzeitig aufgeben, wenn das Parlament diesem im dritten Anlauf zustimme. In einer nächsten Etappe der Verhandlungen werde sie dann nicht mehr hier sein. May erfüllt damit eine Forderung der Brexit-Hardliner ihrer konservativen Partei.

Eigentlich wollten die Abgeordneten bereits am Mittwochabend die Kontrolle über den Brexit an sich reißen. Doch es gelang nicht, eine Mehrheit für eine der acht Alternativen zu May’s Brexit-Deal zu finden. Am besten abgeschnitten hat die Option eines Verbleibs in der Zollunion der EU. 264 Abgeordnete waren dafür, 272 dagegen – es fehlten also nur acht Stimmen auf eine Mehrheit. Überraschend gut angekommen ist die Idee eines zweiten Referendums. Mit 268 "Ayes" zu 295 "Nos" erhielt sie die meisten Zustimmungen.

Sollte das Parlament am Freitag nicht zustimmen, muss May der EU bis 12. April erklären, welche Schritte sie als nächstes unternehmen will. Möglich ist dann ein längerer Verbleib Londons in der EU, was jedoch mit einer Teilnahme an den Europawahlen Ende Mai verbunden wäre. Ansonsten droht ein Ausscheiden ohne vertragliche Grundlage, der sogenannte No-Deal-Brexit.

Der frühere Außenminister und May-Kritiker Boris Johnson hatte betont, er werde "im Namen der 17,4 Millionen Menschen, die für den Brexit gestimmt haben", May’s Vertrag unterstützen. Diese Wende vollzog er, nachdem die Premierministerin ihren Rücktritt in Aussicht gestellt hatte. Die nordirische "Democratic Unionist Party" (DUP), auf deren Unterstützung May’s Minderheitsregierung angewiesen ist, blieb zunächst bei ihrem Nein. Damit sind die Chancen für einen Erfolg bei der freitäglichen Abstimmung eher schlecht. Einige "Brextremisten" machen ihre Zustimmung von der DUP abhängig.

DUP spielt unverhältnismäßig große Rolle

Dass das Schicksal des Vereinigten Königreichs ausgerechnet von der Kleinpartei aus Nordirland abhängt, ist eine der vielen Ironien in der Brexit-Groteske. Die zehn Abgeordneten der Unionisten aus Nordirland spielen damit in der turbulenten Brexit-Phase eine unverhältnismäßig große Rolle. Zwar ist die DUP die größte protestantisch-unionistische Partei in Nordirland. Doch kann man nicht sagen, dass sie im Namen der britischen Provinz spricht: Während sich dort eine Mehrheit für den Verbleib in der Europäischen Union ausgesprochen hat, finanzierte die DUP vor dem Referendum eine teure Werbekampagne für den Brexit.

1971 vom fundamentalistischen Sektenführer Ian Paisley gegründet, ist die Partei bis heute fanatisch antikatholisch und antiirisch. Die Angst der Unionisten vor einer Wiedervereinigung Irlands ist auch der Grund dafür, wieso sie Mays Brexit-Deal so vehement ablehnen: Der darin enthaltene "Backstop" sieht vor, dass Nordirland im Notfall im Binnenmarkt der EU bleibt, damit es keine Grenzkontrollen zum Mitgliedstaat Irland geben muss. Die DUP befürchtet, dass Nordirland dann für unbestimmte Zeit an die EU gebunden und von Großbritannien abgeschnitten wäre. Einem Austrittsabkommen, in dem der Backstop enthalten ist, will die DUP deshalb nicht zustimmen.

Somit braucht May die Stimmen von mindestens 15 Labour-Abgeordneten. Diese zeigten sich Donnerstagabend im Parlament wütend. Sie stellten die Rechtmäßigkeit des Vorgangs infrage. "Das sieht für mich aus wie Tricksereien auf höchstem Niveau", sagte Abgeordneter Stephen Doughty. Medien zufolge kündigte die Parteiführung an, gegen den Vorschlag stimmen zu wollen.