London. Den besten Grund, der Bitte der britischen Premierministerin nach einer weiteren Brexit-Verschiebung nicht nachzukommen, lieferte ausgerechnet ein Abgeordneter ihrer eigenen konservativen Tories. Großbritannien solle bei einer Verlängerung der Austrittsfrist (und der Teilnahme an den EU-Wahlen) "so schwierig wie möglich" auftreten und wichtige EU-Entscheidungen blockieren, schrieb der Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg am Freitag auf Twitter - und bestätigte damit die schlimmsten Befürchtungen Brüssels.

Damit das Vereinigte Königreich nicht an den EU-Wahlen Ende Mai teilnehmen muss, haben die übrigen 27 Mitgliedstaaten Theresa Mays Wunsch bereits vor zwei Wochen eine Absage erteilt. May hatte um eine Vertagung des Brexit bis zum 30. Juni gebeten. Stattdessen boten sie ihr eine Verlängerung bis zum 12. April. Wenn May bis dahin keinen neuen Plan auf den Tisch legt, schlittert das Vereinigte Königreich ohne Deal aus der EU.

In einem Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk schreibt May nun, dass das Unterhaus in London noch einmal über seine Brexit-Alternativen abstimmen darf, wenn May und die Opposition nicht bald einen Konsens finden. "Diese Schritte zeigen, dass die Regierung entschlossen ist, schnell zu einer Lösung zu finden", schreibt May. Die Regierung werde versuchen, vor der Europawahl Ende Mai auszutreten. Vorbereitungen für eine Teilnahme werde man sicherheitshalber dennoch treffen.

Zerfallsszenario stellt Brexit-Fantasien auf den Kopf

Um den Wunsch der Premierministerin zu erfüllen, müssten die Mitgliedstaaten beim EU-Gipfel kommende Woche einstimmig zusagen. Einige Länder, allen voran Frankreich, sehen keinen Grund, London noch einmal nachzugeben. May habe noch immer nichts Konkretes auf den Tisch gelegt, hieß es dazu am Freitag aus Paris.

May hofft wohl, dass ihr neuentdeckter Wille zum Gespräch mit der Opposition ausreicht, um die EU zu überzeugen. Von den konservativen Brexiteers hat sie sich distanziert, ihren Deal will sie nun durch einen Konsens mit der Opposition wiederbeleben. Labour will einen "sanften Brexit", als möglicher Kompromiss gilt ein Verbleib in der Zollunion der EU. Damit würde May allerdings den Bruch ihrer Partei in Kauf nehmen: Eine Mehrheit der Tories ist gegen einen sanften Brexit, er wäre nur mit den Stimmen Labours zu machen. Doch auch Corbyn riskiert einiges. Die Basis will in der EU bleiben oder zumindest ein Referendum über das Austrittsabkommen. Setzt Corbyn das nicht durch, droht ihm eine Rebellion innerhalb seiner Partei.

Viele Sozialdemokraten halten das Entgegenkommen Mays für einen Trick: Kommt es dennoch zu einem No-Deal-Brexit, kann die Premierministerin Corbyn dafür mitverantwortlich machen.

Sicher ist, dass die Tory-Chefin ihre Strategie diese Woche geändert hat. Einen ungeordneten EU-Austritt will sie nun verhindern. Es scheint, als habe May erst jetzt verstanden, welche Risiken so ein No-Deal-Brexit birgt. Die Premierministerin fürchtet nichts Geringeres als den Zerfall des Vereinigten Königreichs: Ein dermaßen harter Bruch mit der EU ist nicht nur Wind in den Segeln schottischer Unabhängigkeitsbefürworter. London hat auch Angst, dass es nach einem Referendum in Nordirland zu einer Wiedervereinigung mit der Republik im Süden kommen könnte.

Dieses Zerfallsszenario stellt die Brexit-Fantasien konservativer EU-Gegner auf den Kopf: Immerhin sollte nach dem EU-Austritt ein erstarktes United Kingdom um die Welt segeln und nicht ein auf England und Wales reduziertes "Little Britain". Diese Gefahr erkennt London reichlich spät. Es liegt nun an der EU zu entscheiden, ob sie noch einmal vertagt werden soll.