Brüssel/Berlin/Paris. (czar/reu) Es ist ja nicht so, dass es in den Brexit-Verhandlungen gar keine Einigkeit gibt. Sowohl EU-Vertreter als auch die britische Premierministerin Theresa May werden nicht müde zu beteuern, dass sie keinen chaotischen EU-Austritt des Königreichs ohne Abkommen möchten. Für einen geordneten Brexit warb May daher am Dienstag in Berlin und Paris. Und sie wird sich dafür im Kreis all ihrer EU-Amtskollegen einsetzen, die heute, Mittwoch, zu einem Sondergipfel in Brüssel zusammenkommen.

Mit dem Wunsch allein stößt die Premierministerin auf offene Ohren. "Ein No-Deal-Szenario wäre niemals eine Entscheidung der EU", betonte EU-Chefverhandler Michel Barnier bei einem Presseauftritt am Dienstag gleich mehrmals hintereinander.

Die Versicherungen ändern freilich wenig daran, dass die Situation verfahren ist. May will eine Verschiebung des Brexit bis 30. Juni - damit hatte sie allerdings schon vor knapp drei Wochen keinen Erfolg. Die Staats- und Regierungschefs der EU legten damals die Frist mit 22. Mai fest, schlossen jedoch einen harten Bruch am 12. April nicht aus.

Da dieser Termin aber nun immer näher rückt, soll erneut die Notbremse gezogen werden.

So zeichnete sich vor dem EU-Gipfel eine weitere Brexit-Verschiebung ab. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit der May vor einem Treffen mit Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron zusammenkam, hält einen Aufschub bis 2020 für möglich. Und selbst Paris, das immer wieder auf einen härteren Kurs gegenüber London gedrängt hat, signalisierte Entgegenkommen. Das Onlineportal Buzzfeed berichtete unter Berufung auf europäische Diplomaten, Macron wolle eine Brexit-Aufschiebung höchstens bis zum Jahresende - was länger wäre als die bisher diskutierten Fristen. Der Präsident sei außerdem für Überprüfungen alle drei Monate. Damit solle sichergestellt werden, dass das Vereinigte Königreich die EU-Geschäfte nicht lahmlegen könne.

Stolperstein EU-Wahl

Die Sorge ist nicht unbegründet: Verzögert sich der EU-Austritt, müssen die Briten an der EU-Wahl Ende Mai teilnehmen. Sie könnten zwar dazu verpflichtet werden, sich bei Entscheidungen zum künftigen EU-Budget oder zur Besetzung der nächsten EU-Kommission nicht einzumischen. Doch das Kräfteverhältnis im EU-Parlament selbst könnten sie sehr wohl mitbestimmen. Würden sich die Briten am Votum beteiligen, würde danach die Zahl der EU-Kritiker im Abgeordnetenhaus höher sein.

Von der Idee einer Teilnahme am Urnengang ist denn auch keine der beiden Seiten begeistert. Daher hat May mit Merkel bereits Szenarien besprochen, unter welchen Umständen die Trennung vor dem Sommer vollzogen werden könnte.

Doch selbst das würde zunächst einmal einen Aufschub voraussetzen, über dessen Länge die Staats- und Regierungschefs erneut diskutieren werden. Barnier stellte jedenfalls klar: "Die Dauer sollte verhältnismäßig zum Ziel sein. Jede Verlängerung sollte einem Zweck dienen. Unser Ziel ist ein geordneter Ausstieg."

Die Vorstellungen in London, wie das erreicht werden kann, zeugen aber noch immer von viel Ignoranz. Während die EU ständig wiederholt, dass das bereits mit May geschlossene Austrittsabkommen nicht wieder aufgeschnürt wird, verlangen einige britische Politiker genau das. Es wäre "fantastisch", wenn Merkel einen geordneten Brexit unterstützen würde, indem sie zustimmt, die Vereinbarung neu zu verhandeln, befand die Parlamentsbeauftragte der britischen Regierung, Andrea Leadsom.

Auch realistischere Varianten würden nicht alle Schwierigkeiten lösen - abgesehen davon, dass es im Unterhaus in London keine Mehrheit dafür gibt. Eine davon wäre eine Zollunion, mit der sich die EU laut Barnier unter bestimmten Umständen anfreunden könnte.

Aber für einen reibungslosen Warenaustausch wie derzeit würde eine solche Vereinbarung zu kurz greifen. Auch die von Brexit-Anhängern und May ersehnte Möglichkeit für London, ohne die EU und aus eigener Kraft Handelsverträge abzuschließen, wäre nur eingeschränkt möglich.

Auf der irischen Insel gäbe es ebenfalls Beeinträchtigungen. Eine Zollunion würde zwar den Handel mit Gütern über die Grenze zwischen Nordirland und Irland erleichtern. Sie würde jedoch nicht ausreichen, um Kontrollen komplett zu vermeiden.