London. Die Frau, die alles einem einzigen Ziel untergeordnet hat, steht kurz vor dem Scheitern. Theresa May, die britische Premierministerin, wird zur tragischen Figur. Die Tory-Chefin - und dieser Eindruck hat sich im Laufe der Monate verstärkt - wollte den Austritts-Deal mit der EU gleichsam mit Gewalt durchsetzen. Drei Mal wurde darüber im Unterhaus abgestimmt, drei Mal drang sie mit ihrem Anliegen nicht durch. Anfang Juni wollte sie es ein viertes Mal versuchen.
Jetzt ist es soweit. Der Widerstand gegen die Unentwegte ist übermächtig geworden. In der letzten Woche hat Labour-Chef Jeremy Corbyn die Brexit-Verhandlungen mit May für tot erklärt. Die Unterstützung durch die Opposition war ihre letzte Chance, doch noch zum Erfolg zu kommen. Der finale Versuch, mit einem Referendum über den Brexit-Vertrag und eine Stärkung der Arbeitnehmer-Rechte zu punkten, war nur noch ein Zeichen von Hilflosigkeit.
Das Spiel ist aus, jetzt kündigt Mays Kabinett nach und nach die Unterstützung auf. Nach einer ganzen Reihe von Minister-Rücktritten warf zuletzt die Tory-Unterhausvositzende Andrea Leadsom das Handtuch. Sie glaube nicht mehr daran, "dass unsere Vorgehensweise das Ergebnis des Brexit-Referendums umsetzen wird", so Leadsom. Auch die Tory-Abgeordneten schäumen vor Wut, die Stimmen derer, die May noch unterstützen, werden leiser.
Es ist damit zu rechnen, dass May demnächst die Modalitäten ihres Rücktritts bekannt geben wird. Der wird offenbar erst nach der EU-Wahl erfolgen und endgültig erst dann, wenn ein Nachfolger gefunden wurde. Das Verfahren ist langwieirig und kompliziert, am Ende sollen 125.000 Tory-Mitglieder befragt werden. Gute Chancen hat Ober-Brexiteer Boris Johnson. Ein EU-freundlicher Premier ist also unwahrscheinlich, die Tories werden in Zukunft noch EU-feindlicher werden. Damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass der Austrittsvertrag doch noch Wirklichkeit wird.
War das Chaos perfekt, so wird es in Zukunft perfekter: Der militante EU-Gegner Nigel Farage reitet wieder auf der Erfolgswelle, seine neue Brexit-Partei dürfte bei den EU-Wahlen auf weit über 30 Prozent kommen, während die Tories abgestraft werden. Konstruktive Ideen haben weder Johnson noch Farage auf Lager, letzterer will in erster Linie das "Establishment in Schrecken versetzen". Dass sich die Wogen im Brexit-Streit glätten, ist nicht zu erwarten: Im Gegenteil.