London. Die britische Regierung hat ihren Widerstand gegen ein Gesetz aufgegeben, das einen ungeregelten Brexit verhindern soll. Das berichtete die britische Nachrichtenagentur PA Donnerstag früh. Demnach einigte sich die Regierung mit der Opposition, den Gesetzentwurf im Oberhaus nicht länger durch Verfahrenstricks aufzuhalten.

Das Gesetz scheint damit so gut wie sicher rechtzeitig vor dem Beginn der Zwangspause des Parlaments nächste Woche in Kraft treten zu können.

Der Gesetzentwurf hatte am Mittwoch gegen den Willen von Premierminister Boris Johnson alle drei Lesungen im Unterhaus passiert. Er sieht vor, dass der Premierminister einen Antrag auf eine dreimonatige Verlängerung der am 31. Oktober auslaufenden Brexit-Frist stellen muss, sollte bis zum 19. Oktober kein EU-Austrittsabkommen ratifiziert sein.

Das Gesetz soll dem Bericht zufolge nun bis Freitagabend das Verfahren im Oberhaus durchlaufen. Dort hatten Brexit-Hardliner am Mittwoch zunächst versucht, mit einer Flut von Anträgen und Dauerreden das Gesetz zu stoppen.

Was den Sinneswandel bei der Regierung ausgelöst hat, war zunächst unklar. Die Regierung ist aber auf die Unterstützung der Opposition zum Ausrufen einer Neuwahl angewiesen. Ein Antrag Johnsons für einen Wahltermin am 15. Oktober war am Mittwoch im Unterhaus gescheitert. Labour-Chef Jeremy Corbyn hatte als Bedingung genannt, dass vorher das Gesetz gegen den No Deal in Kraft treten muss. Mit Spannung wird erwartet, ob die Regierung am Montag einen weiteren Versuch unternehmen wird, die notwendige Zweidrittelmehrheit für ihre Neuwahlpläne zu bekommen.

Neuwahlantrag des Premiers abgeschmettert

Johnson ist zuvor im Unterhaus auch mit seinem Antrag auf eine Neuwahl am 15. Oktober gescheitert. Für die Einberufung von vorgezogenen Neuwahlen ist nach britischem Recht eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament erforderlich. Johnson hätte also auch die Unterstützung der oppositionellen Labour-Partei gebraucht. Diese hatte in den vergangenen Monaten zwar immer wieder Neuwahlen gefordert, bei der Abstimmung am Mittwochabend enthielten sich aber ihre Abgeordneten.Oppositionsführer Jeremy Corbyn von der Labour-Partei kündigte an, er werde einer Neuwahl erst zustimmen, wenn das Gesetz gegen den No Deal in Kraft getreten ist.

Die Gegner Johnsons, zu denen auch Parteifreunde gehören, fürchten einen Austritt ohne Abkommen, weil dann mit wirtschaftlichen Einbrüchen gerechnet wird. "Was uns eint, ist die Überzeugung, dass es kein Mandat für einen Brexit ohne Vertrag gibt und dass die Konsequenzen für unsere Wirtschaft und für unser Land sehr gefährlich sind", sagte der Labour-Abgeordnete Hilary Benn, der das Gesetz zur Brexit-Verschiebung eingebracht hatte.

Johnson reagierte wütend im Unterhaus: "Das ist ein Gesetzentwurf, der dazu gemacht ist, das größte demokratische Abstimmungsergebnis in unserer Geschichte umzudrehen, das (Brexit-)Referendum von 2016."

Alterspräsident Ken Clarke appellierte an Johnson, mit "Spielchen" aufzuhören und eine "eine ernsthafte Lösung für diese unerträglichen Probleme zu finden". Clarke hatte am Dienstag wie 20 weitere Tory-Rebellen gegen die Regierung gestimmt und war von Johnson aus der Fraktion ausgeschlossen worden. Das harsche Vorgehen gegen die Abweichler stieß auf starke Kritik bei gemäßigten Konservativen.

Klage gegen Zwangspause abgewiesen

Auch für die Gegner eines ungeregelten Brexits gab es am Mittwoch einen Rückschlag: Das oberste schottische Zivilgericht wies eine Klage gegen die von Johnson erwirkte mehrwöchige Zwangspause des Parlaments ab. Das Gericht fühle sich für diese Streitfrage nicht zuständig, berichteten britische Medien aus dem Gericht in Edinburgh.

Geklagt hatten etwa 75 Parlamentarier. Sie sehen in der von Johnson angestrebten wochenlangen Schließung des Unterhauses vor dem EU-Austritt des Landes Ende Oktober eine unzulässige Einschränkung des Parlaments. Sie legten umgehend Berufung ein. Bereits am Donnerstag soll es dazu eine Anhörung geben. Ähnliche Klagen wurden auch vor Gerichten im nordirischen Belfast und in London eingereicht.

Am Donnerstag sollte der Fall vor dem High Court in der britischen Hauptstadt verhandelt werden. Ein letztinstanzliches Urteil dürfte aber am Ende der Supreme Court fällen. Der Klage in London hatte sich auch der konservative Ex-Premierminister John Major angeschlossen.

Johnson hatte bei Königin Elizabeth II. erfolgreich beantragt, das Parlament von Mitte September bis Mitte Oktober zu suspendieren, um in einer neuen Sitzungsphase sein Regierungsprogramm vorzulegen. Der Schritt ist so kurz vor dem Brexit Ende Oktober sehr umstritten. Die Gegner eines ungeregelten EU-Austritts stehen unter großem Zeitdruck.

Warten auf Vorschläge aus London

Johnson fordert Änderungen am EU-Austrittsvertrag und betont, die Chancen dafür seien gestiegen. Doch hat die EU-Seite bisher lediglich gesagt, falls Johnson konkrete neue Vorschläge mache, werde man sie sich anschauen. Dabei geht es um Alternativen zu der Garantieklausel für eine offene Grenze in Irland, zum sogenannten Backstop. Noch wartet die EU-Kommission aber auf die Vorschläge aus London.

Rückenwind bekam Johnson durch die britische Zentralbank. Diese erklärte, die Risiken eines No-Deal-Brexits wären inzwischen "weniger schlimm" als bisher gedacht, weil die Vorbereitungen verbessert worden seien. Auch die EU-Kommission verstärkte ihre Vorbereitungen. Für den No-Deal-Fall stellte sie 780 Millionen Euro an Finanzhilfen für die Mitgliedstaaten bereit. Das Geld soll aus zwei bestehenden Hilfsfonds kommen, sagten EU-Beamte. Diesen Vorschlag der EU-Kommission müssten das Europaparlament und die Mitgliedstaaten allerdings noch absegnen. (apa, dpa, afp, reuters)