Seine Rückkehr nach London hatte sich Boris Johnson wohl schöner vorgestellt. Alle Tageszeitungen zeigten am Mittwoch den britischen Premier auf ihren Titelseiten, darunter wenig schmeichelhafte Schlagzeilen. "Premier fliegt zurück ins Chaos", schrieb die "Times". Und das Boulevardblatt "Daily Mail" fragte: "Wer regiert Britannien?"
Am Tag zuvor hatte der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreich die Zwangspause, die der Premier dem Parlament auferlegt hatte, für illegal und nichtig erklärt. Es war ein Sieg für die Abgeordneten, die schon am Mittwoch wieder zusammenkamen, um über die nächsten Schritte im Kampf gegen Johnsons Brexit-Pläne zu beraten.
Zorn der Abgeordneten groß
Normalerweise kommt der Premier jede Woche ins Parlament, um sich den Fragen der Abgeordneten zu stellen. Bisher hat sich Johnson davor gedrückt – was ihm jetzt nicht mehr gelingen dürfte. Das Urteil vom Dienstag ermöglicht es den Abgeordneten, Johnson das Leben richtig schwer zu machen. Die Fragen der Opposition werden unangenehm ausfallen, zudem könnte sie wichtige Dokumente über die No-Deal-Pläne der Regierung anfordern.
Nach dem Kampf der vergangenen Wochen zwischen Premier und Unterhaus ist der Zorn der Parlamentarier groß – allerdings auch jener der Johnson-treuen Tories. Sie behaupten nach wie vor, der Premier habe nichts falsch gemacht. Der Tory-Abgeordnete und Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox hält das Urteil vom Dienstag sogar für einen Akt richterlicher Gesetzgebung.
Das ist insofern bemerkenswert, als der Supreme Court eine Situation beurteilen musste, die es nie zuvor gegeben hatte. Immerhin wollte Johnson das Parlament in der heiklen Phase vor dem Brexit für fünf Wochen schließen, ohne einen Grund dafür zu nennen. Weil Großbritannien keine geschriebene Verfassung hat, müssen die Richter von Fall zu Fall entscheiden. Bestehende Gesetze geändert haben sie aber nicht. Cox' Angriff auf den Supreme Court hängt wohl auch damit zusammen, dass er als wichtigster juristischer Berater der Regierung der Zwangspause seinen Segen gegeben hatte.
"Dieses Parlament ist tot"
Cox ging sogar so weit, die Autorität des Parlaments in Frage zu stellen: "Dieses Parlament ist tot. Es sollte keine Sitzungen abhalten", so Cox unter lautem Gebrüll der Opposition und den "Order! Order!"-Rufen des Parlamentspräsidenten John Bercow. Das Haus sei eine Schande, die Opposition feige, weil sie keine Neuwahlen wolle, so Cox.
Um Neuwahlen auszurufen, braucht Premier Johnson eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament – und die Opposition weigert sich. Sie traut Johnson nicht und will sicherstellen, dass er um eine Verschiebung des Brexit ansucht, bevor es zu einem vorzeitigen Urnengang kommt. Nur so wäre ein Austritt ohne Abkommen vorerst gebannt.
In Brüssel um eine Verlängerung anzusuchen, würde Johnson zudem empfindlich schwächen. Immerhin war es sein Hauptversprechen an die Briten, den EU-Austritt rasch durchzuziehen. "Den Brexit liefern, komme, was wollte", ist, hundertfach wiederholt, längst zu seinem Mantra geworden.
Johnson in der Falle
Und so steckt Johnson in der Falle: Das Gesetz gegen einen EU-Austritt ohne Abkommen, das die Abgeordneten noch vor der Zwangspause durchgeboxt hatten, zwingt den Premier, in Brüssel um eine Brexit-Verschiebung anzusuchen, sollte es ihm bis zum 19. Oktober nicht gelingen, zu einer Einigung mit der EU zu kommen. Weil Johnson "lieber tot im Graben liegen würde", als den Austritt zu verschieben, fürchten seine Kritiker, dass er das Gesetz einfach ignorieren könnte – und damit noch einen Gerichtsprozess heraufbeschwört.
Deshalb will Johnson auch so bald wie möglich Neuwahlen: Käme er noch vor dem 31. Oktober zu einer stabilen Mehrheit im Parlament, könnte er das Gesetz gegen den No-Deal-Brexit wieder abschaffen.
Unter Druck gerät Johnson auch vonseiten der EU, bis kommende Woche soll er seine Pläne für eine Alternative zum Backstop vorlegen. London will die Notfallsklausel zur Vermeidung einer Grenze zwischen Irland und Nordirland aus dem Austrittsabkommen streichen. Dass Johnson bald brauchbare Ideen vorlegt, darf bezweifelt werden. Sein Brexit-Chefverhandler David Frost war bei den Gesprächen am Mittwoch in Brüssel nicht einmal anwesend. Die EU scheint ratlos. Es sei nicht klar, worüber die Briten überhaupt sprechen wollen, sagte ein Insider zum "Guardian".