Glaubt man den britischen Konservativen, dann ist das Handelsabkommen mit der EU so gut wie abgeschlossen. "Ein Großteil der Arbeit ist bereits getan", sagte Tory-Schatzkanzler Sajid Javid vor kurzem zur BBC. Nur: Es gab bisher noch gar keine Verhandlungen, denn dazu muss das Vereinigte Königreich erst aus der EU austreten. Erteilt der Rat der Staats- und Regierungschefs der EU-Kommission dann ein Verhandlungsmandat, können die Gespräche mit London beginnen.

Hundertfach hat Wahlsieger Boris Johnson seinen Slogan "Get Brexit Done" wiederholt. Möglichst rasch sollen die Fesseln der EU gesprengt werden, damit das Vereinigte Königreich in alter Stärke um die Welt segeln kann. Am 31. Jänner soll der Brexit vollzogen werden, bis Ende 2020 wollen die Tories ein Handelsabkommen mit der EU abschließen. Dass dies gelingt, ist äußerst unwahrscheinlich. Bei einem Brexit am 31. Jänner blieben nur einige Monate für die Verhandlungen - immerhin muss das Abkommen auch noch ratifiziert werden.

Eine Verlängerung der Übergangsphase, in der alles bleibt, wie es ist, über 2020 hinaus hat Johnson ausgeschlossen. Großbritannien wäre in dieser Zeit an EU-Recht gebunden und müsste weiterhin Beiträge zahlen, hätte aber nichts mehr mitzureden. Mit den imperialistischen Träumen konservativer Brexiteers ist das nicht vereinbar.

"Singapur an der Themse"

Üblicherweise dauert es Jahre, bis Handelsabkommen vereinbart, geprüft und ratifiziert sind. Bei jenem zwischen der EU und Japan haben allein die juristische Überprüfung und die Übersetzung in 24 Sprachen mehr als vier Monate in Anspruch genommen - in den Augen Brüssels ein Höllentempo.

In welcher Zeit ein solches Abkommen verhandelt werden kann, hängt vor allem davon ab, wie detailliert es sein soll. Ein sogenanntes gemischtes Abkommen, das auch in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, muss nicht nur von den EU-Institutionen, sondern auch von nationalen und regionalen Parlamenten ratifiziert werden. So gab es beim Handelsabkommen mit Kanada (Ceta) Widerstand durch die wallonische Regierung, die Blockade verzögerte die Ratifizierung um Monate. Zudem könnten einzelne Mitgliedstaaten bestimmte Forderungen stellen: Polen hat sicher ein Interesse an Personenfreizügigkeit für seine Staatsbürger, die Dänen könnten verlangen, weiterhin in britischen Gewässern fischen zu dürfen.

"Bei einem gemischten Abkommen wären elf Monate sportlich", sagt ein hochrangiger EU-Beamter zur "Wiener Zeitung". Bei einer kurzen Übergangsperiode würde es äußerst schwer, detaillierte Regeln auszuarbeiten. Zudem läge es am Verhandlungspartner, wie lange es dauert, bis ein Freihandelsabkommen steht: "Sind die Briten geschlossen oder müssen sie erst intern diskutieren?" Das kann freilich noch nicht gesagt werden, nur so viel: Bisher waren sich die Politiker in London beim Brexit in gar nichts einig.

Im schlimmsten Fall gibt es bis Ende 2020 kein Abkommen und auch keine Verlängerung der Übergangsphase: Das Königreich ist auf die Regeln der WTO zurückgeworfen, über Nacht werden Handelsbarrieren und Zollschranken eingeführt - mit schweren Folgen für die Wirtschaft.

Befreiung von lästigen Regeln

Im künftigen Abkommen zwischen dem Königreich und der EU geht es aber nicht nur um Zölle, sondern auch um Regulierungen, um Rechte und Pflichten. "Die EU will kein Niedrigsteuerland in unmittelbarer Nachbarschaft, das mit dem Abbau von Sozialstandards und Niedriglöhnen Waren produziert, die den EU-Markt überfluten", sagt der EU-Beamte. Der Tory-Traum vom deregulierten "Singapur an der Themse", einem marktradikalen Wirtschaftsmodell ohne lästige EU-Vorschriften, wird sich mit einem Handelsabkommen kaum vereinbaren lassen.

Ein großes Thema wird auch der Klimaschutz sein. "Wenn wir uns auf einen Green Deal verständigen und unsere Emissionen reduzieren, dann wird ein Partner, der das nicht beachtet und deshalb günstiger produzieren kann, kein Abkommen mit der EU bekommen, das das zulässt." Hinzu kommt, dass Großbritannien mit der ganzen Welt verhandeln will - schließlich gelten die Abkommen der EU mit Drittstaaten nach dem Brexit für das Königreich nicht mehr.

"Sprengkraft wird sich zeigen"

"Es ist kaum machbar, das alles parallel zu verhandeln", sagt der EU-Beamte. London müsste Prioritäten setzen. Sicher sei: In der Übergangsphase bis Ende 2020 würden die Briten mit den Folgen des Brexit konfrontiert. "Es wird wohl eine komplexe interne Debatte geben."

Dem vielmonierten Diktat Brüssels weiterhin ausgeliefert zu sein und dafür auch noch zahlen zu müssen, das würden viele Briten wohl als Demütigung empfinden, sagt der EU-Beamte. "Die Sprengkraft wird sich noch zeigen."