Strahlend blauer Himmel, 20 Grad. Entspannt genießen Urlauber auf den Restaurantterrassen des Casemates Square in Gibraltar die Sonne. Von Brexit-Panik ist in der britischen "Kolonie" am Südzipfel Spaniens nichts zu spüren. Kellner servieren Paellas mit spanischem Rotwein und Fish and Chips mit britischem Bier. Wie jeden Tag bummeln tausende Touristen durch die Einkaufsstraßen. Sie decken sich mit Zigaretten, Spirituosen, Uhren, Parfüms und Kleidung ein. Das britische Überseegebiet ist ein Shoppingparadies ohne Mehrwertsteuer, das jährlich mehr als 700.000 Besucher anzieht.
"Ich hoffe, das wird auch nach dem Brexit so bleiben", sagt Gigi Sene. In der Cloister Ramp Straße unterhält sie das Schreibwaren- und Büromöbelgeschäft "The Beacon Press". Sie lebt nicht direkt von den Touristen, wohl aber viele ihre Kunden: Banken, Wechselstuben, Reiseagenturen, Hotels, Restaurants. Die Rechnung sei doch ganz einfach, meint die 61-Jährige. Ab Samstag handle es sich beim Grenzübergang zwischen der südspanischen Kleinstadt La Línea de la Concepción und Gibraltar um eine EU-Außengrenze. Bis zum 31. Dezember gebe es eine Übergangsphase. "Doch sollte es danach wieder zu härteren Grenzkontrollen kommen, kann ich hier vielleicht Schluss machen." Die meisten Touristen seien Tagesausflügler. "Die werden wegbleiben, wenn sie sich vier Stunden an der Grenze anstellen müssen. Dann werden viele meiner Kunden dichtmachen." Die Auswirkungen von Grenzkontrollen könnten tatsächlich verheerend sein, gibt auch Michael Netto von der Unite-Gewerkschaft zu.
Bereits 1704 nahm Großbritannien den Felsen an der Meerenge zwischen Spanien und Marokko in Besitz. Seit 300 Jahren fordert Madrid den "Affenfelsen" zurück, Heimat für knapp 32.000 Menschen und 300 Berber-Affen. Die Spanier wollen zumindest eine geteilte Souveränität.
"Immer wenn es in der Vergangenheit zu neuen Streitigkeiten um Gibraltar kam und die Spanier die Grenzkontrollen verschärften, gingen die Umsätze unserer Unternehmen um fast 50 Prozent zurück", so Michael Netto. Es könne zeitweise sogar zu Engpässen bei Medikamenten und Nahrungsmitteln kommen.
96 Prozent stimmten hier gegen den EU-Austritt
So plant Gibraltars Regierungschef Fabian Picardo bereits, nach dem Brexit dem Schengen-Raum beizutreten, um den reibungslosen Grenzverkehr zu ermöglichen. Für Gigi Sene und viele andere Unternehmer ist das keine Lösung, denn ein Schengen-Beitritt würde bedeuten, dass Gibraltar auch eine Mehrwertsteuer einführen müsste. "Damit wäre unser Marktvorteil weg. Ich kann weder mit den Online-Händlern noch mit den billigeren spanischen Unternehmen konkurrieren", sagt Sene.