London. (dpa/reuters) Die Brexit-Angst und die wackelige Konjunktur in großen Volkswirtschaften lassen Notenbanken weltweit vor einer Erhöhung der Zinsen zurückschrecken. In den USA schob die Federal Reserve (Fed) eine Erhöhung des Leitzinses auf, auch die Währungshüter Japans, der Schweiz und Großbritanniens hielten am Donnerstag still. Sollten die Briten der EU "Goodbye" sagen, erwarten Experten ein weltweites Börsenbeben und eine Abkühlung der Weltwirtschaft.

Die Notenbank in London hält eine Woche vor dem Referendum über einen EU-Austritt an ihrer ultra-lockeren Geldpolitik fest und warnt vor den Folgen eines Brexit. Die Bank of England (BoE) entschied am Donnerstag, den Leitzins bei 0,5 Prozent zu belassen. Auch das Anleihen-Kaufprogramm im Volumen von 375 Milliarden Pfund (473,7 Milliarden Euro) bleibt bestehen.

Erneut warnten die Währungshüter eindringlich vor den Folgen eines Brexit, der auch Risiken für die Weltwirtschaft berge. Zugleich zeige sich bereits, dass wegen der mit dem Votum einhergehenden Unsicherheit Investitionsentscheidungen in Großbritannien hinausgezögert würden. Die Währungshüter diskutierten auf der geldpolitischen Sitzung bereits Notfallpläne für den Fall eines Brexit. Ein EU-Austritt würde nach Ansicht mancher Experten die Notenbank zu einer Zinssenkung zwingen.

Fed verschiebt Zinserhöhung

Auch die US-Notenbank reagiert eine Woche vor dem von der Finanzwelt mit Bangen erwarteten Referendum zögerlich - und verschiebt die nächste Zinserhöhung auf die Zeit nach dem britischen Votum. Die Währungshüter um Fed-Chefin Janet Yellen entschieden, den Leitzins in der Spanne von 0,25 und 0,5 Prozent zu belassen. Der Brexit sei mit ins Kalkül genommen worden, räumte Yellen ein: Die Folgen eines britischen EU-Austritts könnten auch die US-Wirtschaft treffen.

Die Währungshüter signalisierten dennoch, dass sie 2016 noch zwei Zinsschritte nach oben wagen wollen. Der erste komme womöglich bereits im Sommer: "Wir werden in den nächsten Monaten handeln, wenn es angebracht sein sollte", sagte Yellen. Auch eine Erhöhung im Juli sei nicht vom Tisch. Sollte die Fed die Geldpolitik im nächsten Monat oder im September straffen, gilt dies auch mit Blick auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen für viele Experten als geschickter Schachzug: Das Duell zwischen dem Republikaner Donald Trump und der Demokratin Hillary Clinton im Kampf ums Weiße Haus dürfte vor dem Wahltermin im November geldpolitische Schritte zum Politikum machen.

Besorgte investieren in Franken

Auch auf der Pressekonferenz der Schweizerischen Notenbank (SNB) fiel kein Wort häufiger als "Brexit". Und das aus gutem Grund, denn bei einem EU-Austritt Großbritanniens könnte der als "sichere Hafen" gefragte Franken deutlich an Wert gewinnen. Einen solchen Höhenflug wollen die Währungshüter jedoch verhindern - und stünden dafür mit Stützungskäufen am Devisenmarkt und notfalls auch einer weiteren Zinssenkung bereit.

"Wir erwarten, dass es im Fall eines Brexits zu Turbulenzen kommen könnte", sagte SNB-Präsident Thomas Jordan am Donnerstag. "Wenn es dazu kommt, wird es in einer ersten Phase darum gehen, stabilisierend am Markt einzugreifen." Die Wahrscheinlichkeit eines britischen EU-Austritts sei in den vergangenen Tagen zwar gestiegen. Dennoch sei das derzeit nicht das Basisszenario der Notenbank. Trotzdem halten die Währungshüter ihr Pulver wie erwartet trocken: Das Zielband für den Referenzzins Dreimonatslibor beließen sie unverändert bei minus 1,25 bis minus 0,25 Prozent. Auch die Sichteinlagen der Banken bei der SNB werden weiterhin mit 0,75 Prozent belastet.

Viele Investoren sind wegen der unabsehbaren Folgen eines Brexits besorgt und flüchten in stabile Anlagen wie den Franken. Dieser hat zum Euro seit dem Start der vergangenen Handelswoche fast drei Prozent an Wert gewonnen und die stärkste Aufwertung innerhalb einer Woche seit der Aufhebung des Mindestkurses Anfang 2015 verbucht. Ein starker Franken macht Schweizer Waren im Ausland teuer und bremst die exportorientierte Wirtschaft des Landes.