London. Zum Referendum in Großbritannien über einen Austritt aus der EU schreiben internationale Zeitungen am Donnerstag:

"Lidove noviny" (Prag):

"Eine EU ohne Großbritannien, das ist mehr als nur eine Rechenaufgabe für Schüler: 28 - 1 = 27. Es wäre ein symbolischer Schock. Die Gemeinschaft, die über drei Generationen nur immer neue Mitglieder angezogen hat, würde erstmals ein bedeutendes Mitglied verlieren. (...) Wie auch immer das Ergebnis ausfällt, wird Brüssel vor die Frage gestellt: Ist es besser, die Union um ein bedeutendes Land zu beschneiden, oder endlich den eigenen trotzigen Drang nach unwidersprochener Einheit einzuschränken?"

"El Pais" (Madrid):

"Besser drinnen als draußen, please! Die Europäische Union ist trotz ihrer Beschränkungen und Schwächen einer der bedeutendsten politischen und wirtschaftlichen Erfolge in der jüngeren Geschichte. Warum sollte man, wie US-Präsident Barack Obama in Hannover fragte, sie verlassen? Weil man ihr schaden will?

In der Ära einer ungeordneten Globalisierung, die so viel soziale Spannungen und Ungleichheit verursacht hat, strebt die EU eine Reglementierung an. Sie fordert eine produktive Wirtschaft und eine soziale sowie territoriale Kohäsion. Gibt es bessere Zielsetzungen? Und gibt es ein besseres Mittel, diese Ziele zu erreichen, als sich zusammenzuschließen und die Kräfte zu vereinen?"

"De Telegraaf" (Amsterdam):

"Vielleicht wird nun eine Ehe beendet, die schon 1973 geschlossen wurde, jedoch nie ganz glücklich war. Nichtsdestotrotz wäre dies für die EU - und auch für die Niederlande - eine schlechte Nachricht. Für die Niederlande ist das Vereinigte Königreich in der EU ein Verbündeter gegen Frankreich und Deutschland, die eher geneigt sind, Brüssel mehr Macht zu geben. Der EU droht ein schwerer Imageschaden: Zum ersten Mal könnte ein Land austreten, obendrein eins, das alles andere als klein ist.

Umfragen weisen auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Befürwortern und Gegnern des Brexits hin. Allein schon das muss der EU zu denken geben: Woher kommt dieser Widerstand? In der Brexit-Kampagne war die Zuwanderung ein dominantes Thema. Hunderttausende von Osteuropäern sind nach Großbritannien gezogen - eine Folge der raschen EU-Erweiterung. Nicht jeder ist froh über den Zustrom von 'EU-Migranten'. Brüssel hat zu lange im alten Trott weitergemacht, bei dem sich die Bürger nicht wirklich vertreten fühlen. Ein Brexit oder zumindest die ganze Unsicherheit, die von dieser Möglichkeit ausgeht, ist der hohe Preis, der dafür gezahlt wird."

"Corriere della Sera" (Mailand):

"Falls sich Großbritannien - wie wir alle hoffen - dafür entscheidet, in der EU zu bleiben, dann kann man wirklich sagen, dass eine Frau Europa gerettet hat: Jo Cox, die junge Abgeordnete, die von einem Extremisten getötet wurde. Es war dieses Drama, zusätzlich zu der Angst vor den wirtschaftlichen Folgen (...), das die Windrichtung, die stark in die Segel des 'Leave', des Austritts, blies, noch einmal geändert hat. (...) Der heutige Tag riskiert eine Niederlage für alle zu werden, aber er könnte auch die Chance zu einer Wiederbelebung des europäischen Ideals sein. Das einzige undenkbare Szenario ist es, so weiterzumachen, als wäre nichts geschehen."

"Wedomosti" (Moskau):

"Das Referendum in Großbritannien ist nicht nur eine Abstimmung über den Verbleib in der EU, sondern auch ein Misstrauensvotum über die Entwicklung in dem Bündnis. Die triumphierende Erweiterung der Europäischen Union, der Sieg des Gemeinwohls über das nationale Interesse - all das hat mittlerweile zu einem Bruch zwischen den Massen und der technokratischen Elite geführt. Die Krise der Eurozone und das Flüchtlingsproblem haben die Euroskeptiker zusätzlich gestärkt. Egal, wie das Referendum ausgehen wird: die EU muss die Fragen der Zeit beantworten. Ob mit Großbritannien oder ohne."

"Liberation" (Paris):

"Es stehen sich zwei Nationen gegenüber. Die ein denkt, dass der Ärmelkanal ein schmales Meer ist, die andere hält ihn vor allem für tief. Die eine hält Brücken für wertvoll, die andere bevorzugt Mauern. Die eine unterstützt einen in guten Verhältnissen geborenen, gebildeten und gut gekämmten Premierminister, David Cameron; die andere seinen Rivalen, in genauso guten Verhältnis geboren, aber exzentrisch und mit zerzaustem Haar, Boris Johnson. Es sind zwei Großbritannien, die für zwei unterschiedliche Visionen der Zukunft stehen."

"Politiken" (Kopenhagen):

"Ein britisches Ja würde in einer Zeit, die von Erzählungen über den europäischen Verfall geprägt ist, die Hoffnung nähren. Aber der Wahlkampf hat ein geteiltes Großbritannien in einem geteilten Europa gezeigt. Die Aufgabe wird es sein, zum Kern eines politischen Projekts zu finden, das ein Teil der europäischen Bevölkerung sich nicht wünscht. Hoffentlich lehnt Großbritannien es ab, einer Welt den Rücken zuzukehren, die noch nie enger verbunden war als jetzt. Nichts kann in den Territorien von Nationalstaaten eingezäunt werden - weder wirtschaftlich noch politisch oder kulturell. Deshalb wäre ein britisches Ja nicht nur richtig. Es wäre auch notwendig, um ein starkes Europa im Jahrhundert der Globalisierung zu schaffen."