London. (gö) Während die Briten noch abstimmten, sendeten die Finanzmärkte am Donnerstag bereits ihre Erwartung des Referendum-Ausgangs. Mit der Londoner Börse stiegen die europäischen Aktienmärkte überraschend stark. Das Plus bewegte sich um 1,5 Prozent. Die Hoffnung auf einen EU-Verbleib Großbritanniens beflügelte auch die Wall Street zum Handelsauftakt. Angesichts der jüngsten Umfragen, die die Brexit-Gegner bei 55 Prozent sahen, stieg der Dow Jones um 0,6 Prozent. Auch das britische Pfund kletterte zum Dollar auf den höchsten Stand seit sechs Monaten, der Euro legte ebenfalls zu. "Der Markt nimmt den Sieg der Brexit-Gegner vorweg", so Analyst Jochen Stanzl von CMC Markets.

Besonders groß war die Nervosität in den vergangenen Monaten vor allem in den exportorientierten Sektoren wie der Automobilbranche und im Investitionsgüterbereich gewesen. Denn so gut wie alle Analysten gehen davon aus, dass das Pfund im Brexit-Fall massiv einbrechen würde, weil Investoren ihr Geld dann im großen Stil abziehen. Mit der Pfund-Abwertung würden Produkte aus der Euro-Zone in Großbritannien dann deutlich teurer werden. Ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogen würden wohl Anlagen- und Maschinenbauer und Konzerne wie Siemens, die Betriebsstätten auf der britischen Insel haben und langfristige Verträge erfüllen müssen.

Zur Beruhigung beigetragen haben aber auch Pläne der internationalen Zentralbanken, notfalls gemeinsam gegen Panik auf den Märkten vorzugehen. Die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bank of England können jederzeit ein bestehendes Agreement aufleben lassen, das britische Banken mit Euro, jene des Kontinents mit Pfund versorgt. Diese sogenannte Liquiditätshilfe würde die Auswirkungen von großen Ausschlägen dämpfen. Denn als eines der schlimmsten Szenarien gilt unter Notenbankern, dass der Zugang zu fremden Währungen für Briten völlig austrocknet, weil ausländische Banken auf einmal nicht mehr bereit sind, gegen das taumelnde Pfund Devisen anzubieten.

Angesichts der Entschlossenheit der Notenbanken stiegen am Donnerstag aber die Bankaktien. So zogen etwa die Papiere der Deutschen Bank um weitere 3 Prozent an, nachdem sie schon am Vortag stark gelaufen waren.

Auch die US-Notenbank, die bereits zuletzt - auch wegen des britischen EU-Referendums - eine mögliche Zinserhöhung verschob, stünde für Interventionen bereit. Jedenfalls waren gestern nicht nur in den jeweiligen Geschäftsbanken, sondern auch in den Zentralbanken die Handelsräume voll besetzt, um gegen mögliche Wechselkursschwankungen gewappnet zu sein. "Jeder will mitmischen", sagte ein Devisenhändler aus dem Finanzviertel um Canary Wharf. "Die Frage ist nur, ob und wann man ein bisschen Schlaf bekommt."