Frankfurt könnte zum Gewinner des britischen Austritts aus der EU werden. Der Finanzhauptstadt London droht hingegen ein Bedeutungsverlust. Sie profitiert stark von der engen Anbindung an die Märkte im Euro-Raum. Die Erlaubnis, Finanzprodukte in allen EU-Ländern zu vertreiben, dürfte aber nach einem Austritt wegfallen. Teile von Banken, die etwa mit der Entwicklung von Produkten oder mit der Abwicklung von Derivaten zu tun hätten, könnten nach Frankfurt ziehen. Die Standort-Lobby Frankfurt Main Finance erwartet in fünf Jahren 10.000 zusätzliche Arbeitsplätze in der Metropole.

Das wird wohl auch den Immobilienmarkt beflügeln. "Trotz aller negativen Begleiterscheinungen kann insbesondere Frankfurt mittelfristig mit neuen Impulsen rechnen", sagte Ulrich Höller, Vorstandschef des Immobilien-Investors GEG. Das kann aber noch dauern. "Viele Banken sind in Frankfurt schon vertreten und haben noch jede Menge Büroflächen frei", sagte Helge Scheunemann vom Immobilien-Dienstleister Jones Lang LaSalle. Lobbyist Väth sagte, der Frankfurter Immobilienmarkt könnte den Zuwachs gut verkraften. 120.000 Quadratmeter Bürofläche stünden leer, weitere 280.000 seien in der Entwicklung.
Die Deutsche Bank überlegt Finanzkreisen zufolge, Bereiche wie den Devisenhandel von London nach Frankfurt zu verlagern. Sie beschäftigt in London über 8000 Mitarbeiter, vor allem im Investmentbanking. Cryan hat vor dem Referendum angekündigt, die Bank werde nach einem Brexit den Handel mit Euro-Staatsanleihen aus London abziehen. Dagegen erwartet der Vize-Chef der HypoVereinsbank-Mutter UniCredit, Gianni Franco Papa, dass sich London als Finanzmetropole behauptet: "Es würde Jahre dauern, ein neues Finanzzentrum in Europa aufzubauen, das sich mit London vergleichen könnte. Deshalb haben wir keine Pläne, in naher Zukunft Wesentliches zu ändern."
Internationale Großbanken gaben sich gelassen. "Goldman Sachs hat sich in seiner Geschichte immer wieder an den Wandel angepasst", sagte der Chef der US-Investmentbank, Lloyd Blankfein. Sein Kollege Jes Staley von der britischen Bank Barclays verwies darauf, dass sein Haus sich schon vor dem Referendum als "transatlantische Bank" mit Verankerung in Großbritannien und den USA aufgestellt habe - "unabhängig davon, ob das Vereinigte Königreich in der EU bleiben würde". Die US-Investmentbank Morgan Stanley hat einem Insider zufolge Pläne, 1000 ihrer 6000 Beschäftigten in London nach Dublin oder Frankfurt zu versetzen.
Auch für die in London ansässige, aber abwanderungswillige EU-Regulierungsbehörde EBA wäre Frankfurt "der natürliche und logische Standort", sagte Frankfurt-Main-Finance-Geschäftsführer Hubertus Väth. Für den Finanzplatz, zehnmal kleiner als London, bedeute das einen Schub von 15 bis 20 Prozent. Im Großraum Frankfurt arbeiten 62.000 Menschen in der Bankenbranche.