Brüssel. EU-Ratspräsident Donald Tusk hat vor dem EU-Gipfel zu den Brexit-Beratungen in Brüssel klargestellt, dass die EU auf einen Austrittsantrag des Vereinigten Königreichs warten muss. Man müsse die EU-Verträge respektieren, sagte Tusk in Brüssel. Demnach müsse die britische Regierung einen EU-Austritt initiieren, "das ist der einzig legale Weg, den wir haben".
"Ohne Notifizierung von Großbritannien werden wir keine Verhandlungen über das Scheidungsverfahren oder über unsere künftigen Beziehungen starten", sagte Tusk. Europa sei bereit zu den Verhandlungen "ohne jeglichen Enthusiasmus".
Tusk kündigte für Mittwoch "tiefe Reflexionen" der 27 anderen EU-Staaten zur Zukunft Europas an. Er wolle dazu ein Sondertreffen des EU-Gipfels im September vorschlagen, sagte er. Der beste Platz dafür wäre Bratislava, nachdem die Slowakei im zweiten Halbjahr die EU-Ratspräsidentschaft innehat.
"Was geschehen ist, ist geschehen"
Tusk brachte seine persönliche Enttäuschung über das Brexit-Votum der Briten zum Ausdruck. "Am Tag danach habe ich mich gefühlt, als ob jemand, der mir sehr nahe steht, das Haus verlassen hat." Tusk: "Aber was geschehen ist, ist geschehen."
Der EU-Gipfel werde sich außerdem mit der Migrationskrise und der Zusammenarbeit zwischen EU und NATO befassen. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nimmt an den Beratungen teil, wie Tusk sagte. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini werde ihre globale Strategie vorstellen. Und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Francois Hollande würden über die Umsetzung der Minsk-Vereinbarung zur Ukraine-Krise berichten.
Brexit-Resolution: EU-Austritt "so bald wie möglich"Die Abstimmung im Europaparlament ergab ein eindeutiges Ergebnis. Mit 395 zu 200 Stimmen wird Großbritannien aufgefordert, "so bald wie möglich" den Antrag auf seinen Austritt aus der EU zu stellen und damit Aritkel 50 des EU-Vertrages in Gang zu setzen.
The @Europarl_EN just voted on a resolution on the #brexit referendum result. pic.twitter.com/rA8FvjIz0l
Mathias Schindler (@presroi) 28. Juni 2016
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat im Europaparlament betont, dass die Brexit-Entscheidung Folgen haben müsse. "Die Stunde ist ernst". Er sei zwar ein "sehr besonnener Mensch", doch wolle er keine Unsicherheiten. Die Briten müssten deshalb rasch ihre weitere Vorgehensweise klären, wobei er konzediert, "aber nicht unmittelbar".
Dies müsse "nicht heute, auch nicht morgen Vormittag" geschehen, aber doch "sehr schnell". Juncker zeigte sich auch verwundert, dass der britische Brexit-Befürworter und EU-Parlamentsmandatar Nigel Farrage bei der Sondersitzung im Europaparlament anwesend war. "Ich bin in gewissem Sinn überrascht, dass Sie hier sind. Sie haben doch für den Austritt gekämpft und das Ergebnis der Abstimmung verlangt doch Respekt".
Briten tun sich schwer, Ergebnis zu respektieren
Der Kommissionspräsident weiter: "Ich bin einigermaßen überrascht, dass ich, der ich in Großbritannien regelmäßig als Nichtdemokrat beschrieben werde, als Technokrat und Roboter, bereit bin, das Votum der Briten zur Kenntnis zu nehmen. Aber in Großbritannien tut man sich schwer, das Ergebnis zu respektieren. Das ist doch eine überraschende Wendung".
Jedenfalls sei es notwendig, dass die Briten konsequent reagierten, "anstatt sich jetzt in Katz- und Mausspiele zu verstecken. Das ist nicht die Interpretation des Wählerwillens, denn der ist klar und deutlich: Die Briten möchten raus aus der EU, dementsprechend sollte man handeln".
Keine geheimen Verhandlungen
Es könne daher "nicht sein, jetzt klammheimlich zu versuchen, dass die britische Regierung in abgedunkelten Räumen informelle Geheimverhandlungen beginnt. Das wird nicht passieren. Ich habe den 'Mufti-Befehl' an alle Kommissare ausgesandt, jetzt keine geheimen Verhandlungen stattfinden zu lassen".
Juncker hat gleichzeitig jüngste Kritiken an einer Flexibilisierung des Stabilitätspaktes zurückgewiesen. "Wir haben flexibilisiert, im noblen Sinn des Wortes. Möchten Sie wirklich eine Rückkehr zu dem, was vorher galt? - Nein, der Stabilitätspakt wird mit Weisheit angewandt".
Merkel: Binnenmarktzugang an Verpflichtungen geknüpft
Bundeskanzlerin Angela Merkel warnte die "britischen Freunde, sich etwas vorzumachen." Es werde weder formell noch informell vor dem britischen Antrag auf EU-Austritt Verhandlungen oder Vorgespräche über den Scheidungsprozess geben, sagt sie in einer Regierungserklärung. Deutschland werde sicherstellen, dass die Austrittsverhandlungen nicht nach dem Prinzip der Rosinenpickerei geführt würden. Wer Zugang zum Binnenmarkt haben wolle, müsse damit einhergehende Verpflichtungen einhalten.
Merkel warnt vor Spaltung Europas
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nach dem Brexit-Votum der Briten für einen EU-Austritt Geschlossenheit der verbleibenden 27 Mitgliedstaaten gefordert und vor einer Spaltung Europas gewarnt. Für Großbritannien werde es keinerlei Sondervergünstigungen nach dem Austritt geben, betonte Merkel am Dienstag vor dem Bundestag in einer Regierungserklärung zum Referendum in Großbritannien.
Jeder Vorschlag, der die EU der 27 als Ganzes aus dieser Krise führen könne, sei willkommen, sagte Merkel. "Jeder Vorschlag, der dagegen die Fliehkräfte stärkt, die Europa schon so sehr strapazieren, hätte unabsehbare Folgen für uns alle. Er würde Europa weiter spalten", sagte sie in der Sondersitzung des Parlaments. Sie werde sich dafür einsetzen, das zu verhindern. "Ich sehe gute Möglichkeiten, dass uns das gelingen kann."
Die deutsche Regierung werde sicherstellen, dass es in den Trennungsverhandlungen nicht nach dem "Prinzip der Rosinenpickerei" für Großbritannien zugehen werde, sagte Merkel. Es werde deutlich werden, dass es einen spürbaren Unterschied gebe zwischen einem EU-Mitglied und einem Drittstaat außerhalb der Union. Ein Land könne sich nicht den Pflichten eines Mitgliedslandes entziehen und sich nur die Vorteile sichern. Freien Zugang zum europäischen Binnenmarkt werde nur der haben, der selbst eine freie Bewegung von Menschen, Kapital, Dienstleistungen und Gütern sicherstelle.