Brüssel/Straßburg. (czar) Demonstrative Gelassenheit war das Motto. Auch einen Tag nach der Rede der britischen Premierministerin Theresa May wollten sich EU-Spitzenpolitiker nicht zu ausschweifenden Kommentaren über das künftige Verhältnis zwischen der Insel und dem Kontinent hinreißen lassen. Wie sich London das vorstellt, hat May am Dienstag in zwölf Punkte gefasst: strengere Kontrolle der Zuwanderung, Loslösung von der europäischen Rechtssprechung, Ausstieg aus dem Binnenmarkt und der Zollunion, stattdessen ein Freihandelsabkommen mit der Gemeinschaft.

Dennoch sehen sich die Briten auch nach ihrem Austritt aus der Europäischen Union als Partner für die Gemeinschaft an, betonte die Premierministerin. Darauf verwiesen denn auch die EU-Politiker. Die Rede Mays sei "keine Kriegserklärung", sondern eine Klarstellung gewesen, befand der maltesische Ministerpräsident Joseph Muscat gestern, Mittwoch, am Rande der Plenarsitzung des EU-Parlaments in Straßburg. Sein Land hat zu Jahresanfang für sechs Monate den EU-Vorsitz übernommen, und so wird der Brexit, das Ausscheiden Großbritanniens aus der Union, zu einem wesentlichen Thema für die Regierung in Valletta. Bis Ende März will London nämlich sein offizielles Austrittsgesuch in Brüssel einreichen. Drei bis fünf Wochen später würden die EU-Staats- und Regierungschefs bei einem Sondergipfel darüber beraten, kündigte Muscat an.
Ringen um einen "fairen Deal"
Allerdings ist jetzt schon klar, dass die Verhandlungen "sehr, sehr, sehr schwierig" sein würden, wie es EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker beim Presseauftritt mit Muscat zusammenfasste. Seine Behörde wird die Gespräche führen, ihr Beauftragter dafür ist der ehemalige Kommissar Michel Barnier. Das Verhandlungsmandat sollen die 27 EU-Regierungen bei ihrem Sondertreffen bekräftigen.
Welche Rolle das EU-Parlament spielen wird, ist hingegen noch nicht völlig geklärt. Das Abgeordnetenhaus pocht auf eine enge Einbindung und hat ebenfalls einen Beauftragten ernannt: Der Fraktionsvorsitzende der Liberalen, Guy Verhofstadt, soll für die Brexit-Gespräche zuständig sein. Jedoch sind keineswegs alle Mitgliedstaaten von der Idee begeistert, die Volksvertretung im gleichen Ausmaß mitreden zu lassen wie die EU-Kommission.
Zumindest in einem dürften sich die EU-Partner einig sein: Großbritannien sollte nach einem Austritt aus der Gemeinschaft nicht in einer besseren Position sein als zuvor. So betonte Juncker zwar, dass eine "ausgewogene Lösung" nötig sei, es aber in erster Linie um einen "fairen Deal" für die EU gehe. Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico formulierte es folgendermaßen: Es wäre falsch, wenn die verbleibenden EU-Staaten aus den Verhandlungen schwächer rausgehen und Großbritannien gestärkt würde. Auch das EU-Parlament beharrt darauf, dass die Briten davon abgehalten werden müssen, "Rosinenpickerei" zu betreiben.
Den Zusammenhalt der Partner forderte ebenfalls die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut ein. "Wir haben uns fest vorgenommen, uns sehr eng abzustimmen, und natürlich werden wir das auch in Verbindung mit unseren jeweiligen Wirtschaftsbereichen tun", sagte sie laut der Nachrichtenagentur Reuters. Ähnlich äußerte sich Merkels italienischer Amtskollege Paolo Gentiloni, der in Berlin zu Besuch war.
Warten auf Gerichtsspruch
Mit einer anderen Institution wird sich unterdessen Premierministerin May wohl abstimmen müssen. Das Parlament in London möchte nämlich in die Brexit-Verhandlungen von Anfang an involviert sein. Das oberste Gericht Großbritanniens will nun am kommenden Dienstag bekanntgeben, ob die Regierung schon für den Beginn der Gespräche die Zustimmung des Abgeordnetenhauses benötigt.