London/Brüssel. (czar/reu) Noch wird sie als unsichtbare Grenze bezeichnet. Und ginge es nach den beiden Seiten, würde es auch in Zukunft dabei bleiben. Denn weder Großbritannien noch Irland sind daran interessiert, zwischen ihren Territorien wieder Schlagbäume aufzustellen und Kontrollen einzuführen - so wie es noch vor zwei Dutzend Jahren war. Die Rückkehr zu so einem Zustand soll daher auch nach einem Austritt des Königreichs aus der Europäischen Union vermieden werden. Damit wird die einzige Landgrenze, die Großbritannien hat, zu einem Knackpunkt in den Brexit-Verhandlungen.

Daher konnte die Regierung in Dublin die jüngste Ankündigung aus London nur begrüßen. Großbritannien wolle auch nach seiner Trennung von der EU keine Abschottung zwischen seiner Provinz Nordirland und dem Unionsmitglied Irland, heißt es in einem gestern, Mittwoch, vorgelegten Strategiepapier. Stattdessen sei ein nahtloser und reibungsfreier Verkehr ohne eine "physische Grenz-Infrastruktur und Grenzposten" wünschenswert.
Das hat zum einen ökonomische Gründe. Kein anderer europäischer Staat ist mit Großbritannien so eng verbunden wie Irland. Zehntausende Menschen passieren täglich die 500 Kilometer lange Grenze zwischen den beiden Ländern. Das Handelsvolumen zwischen den Nachbarn beläuft sich auf etwas mehr als eine Milliarde Euro - und das pro Woche.
Zum anderen gibt es da auch noch politische und gesellschaftliche Verknüpfungen. Es ist gerade einmal knapp zwanzig Jahre her, dass mit dem Karfreitagsabkommen ein Friedensvertrag geschlossen wurde, der den Bürgerkrieg in Nordirland beendete. Die Bilanz der Kämpfe zwischen pro-irischen Katholiken und protestantischen pro-britischen Loyalisten waren tausende Tote, zehntausende Verletzte und hunderttausende Traumatisierte gewesen. Die Wunden, die die Ereignisse geschlagen hatten, sind tief - und sie könnten wieder aufreißen, wenn es erneut eine strikte Trennung zu Irland gibt, ist die Befürchtung in London und Dublin, aber auch in Brüssel.
Daher gelte es, "eine praktische Lösung" zu finden, die "den einzigartigen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Kontext der Landgrenze mit Irland" berücksichtige, argumentierte der für Nordirland zuständige Minister, James Brokenshire. Außerdem sollten keine neuen Hürden für den Handel innerhalb des Königreichs entstehen.
Aus Dublin kam zunächst Zustimmung. Jedoch seien die Details noch unklar, befand Außenminister Simon Coveney.
Allerdings stoßen die britischen Ideen in der EU ebenso auf Skepsis. Sie knüpfen nämlich die offene Grenze an den Zugang zum Binnenmarkt. Den freien Warenverkehr zwischen den Nachbarn würde der Verbleib Großbritanniens in der EU-Zollunion garantieren. Diesen Vorschlag hatte London bereits am Dienstag vorgelegt: Für die Insel solle eine Übergangszeit gelten, um die britsche Wirtschaft davor zu bewahren, dass die Handelsbeziehungen mit dem Kontinent plötzlich gekappt werden.
Solche Überlegungen lanciert London schon seit Monaten, seit Beginn der Brexit-Verhandlungen. Aus Brüssel folgen dann immer Einwände. Die EU-Staaten und Chefverhandler Michel Barnier wollen zunächst einmal die Trennungsmodalitäten regeln, bevor sie über die künftigen Beziehungen mit Großbritannien reden. Die Möglichkeit, beide Themen miteinander zu verbinden, solle es erst bei entsprechenden Fortschritten in den laufenden Austrittsgesprächen geben. Gleichzeitig haben EU-Politiker die britische Regierung regelmäßig vor "Rosinenpickerei" gewarnt: Ein Austritt aus der Gemeinschaft lasse sich nicht mit einem Verbleib im europäischen Binnenmarkt vereinbaren.
London will mit Geld bei Friedensprojekten einspringen
Aber auch in Großbritannien selbst gibt es Bedenken zu den geplanten Regelungen mit Irland. Würden nämlich keine Zoll- oder Einreisehürden zu Nordirland errichtet, würden auch künftig EU-Bürger ohne Überprüfung in das Königreich gelangen können. Das dürfte viele Briten verärgern, die wegen fehlender Grenzkontrollen für den Austritt aus der Gemeinschaft gestimmt haben. Die Regierung argumentiert, durch Zugangsbeschränkungen zu den Sozialleistungen und zum Arbeitsmarkt könne sie die Einwanderung unter Kontrolle halten.
So reiht sich an die Frage nach der Grenze auch jene nach Bleiberechten für die mehr als drei Millionen EU-Bürger, die in Großbritannien leben und arbeiten. Zu den weiteren Streitpunkten zwischen der Insel und dem Kontinent gehören die finanziellen Verpflichtungen, die das Königreich als EU-Mitglied noch hat.
Zumindest in Nordirland scheint London zu Zusagen bereit zu sein. Premierministerin Theresa May zufolge erwägt ihre Regierung, nach dem Brexit für die EU bei der Finanzierung von Friedensprojekten einzuspringen. Die Gemeinschaft hat Milliarden-Euro-Summen in den Prozess gesteckt, mit dem die Aussöhnung in Nordirland vorangetrieben werden soll.