Es hat etwas von einer griechischen Tragödie, was sich auf den Britischen Inseln abspielt. Das jüngste Chaos der Regierung von Theresa May steht dafür sinnbildlich. Und dieses Urteil gilt völlig unabhängig, auf welcher Seite des Kanals sich der Beobachter befindet. Wer dabei Schadenfreude empfindet - etwa nach dem Motto: Geschieht ihnen schon recht, diesen eigenwilligen, selbstgerechten und selbstgefälligen Briten! -, dem ist nicht zu helfen. Die Selbstdemontage dieser einst so stolzen wie unerschütterlichen Demokratie ist ein erschütterndes Trauerspiel, das niemanden kalt lassen sollte. Weil es nur Verlierer und verbrannte Erde hinterlassen wird, in Großbritannien und im weiten Rest Europas.

Walter Hämmerle.
- © Luiza PuiuGroßbritannien zeigt aller Welt, wie zerbrechlich der Konsens der Vernunft ist, auf dem unsere westlichen Gemeinschaften aufbauen. Wie angreifbar das scheinbar Selbstverständliche ist; und wie leicht diese Selbstverständlichkeiten, die wir viel zu lange für unumstößlich erachtet haben, unter einem gut koordinierten Angriff in sich zusammenbrechen können. Und mitunter kann es sogar passieren, dass eine Laune, eine rational nicht nachvollziehbare Lust am Abenteuer ausreicht, um die Arbeit von drei Generationen mit einer gelangweilten Handbewegung vom Tisch zu wischen.
Die Tragödie des Brexit macht deutlich, dass es für unsere Zeit keine Sicherungssysteme und keine Institutionen mehr gibt, auf die wir uns als Gesellschaft noch verlassen können.
Das Erfolgsgeheimnis unserer Demokratie liegt darin, dass ihre Entscheidungen ständig revidiert werden können, dass sie sich beharrlich eben nicht festlegt, weil man ja bekanntlich nie weiß, welche Überraschungen die Welt von morgen für uns bereithält. Demokratische Politik bedeutet, wenn man so will, Fahren auf Sicht im dichten Nebel der Geschichte. Dagegen gleicht die wilde Entschlossenheit, mit der eine Minderheit der radikalen Brexiteers ihren Traum verfolgt, dem Irrsinn eines Geisterfahrers im dichten Gegenverkehr.
Ein einmaliges, knappes Votum - am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent für den Austritt aus der EU - hat ausgereicht, um alle Sicherungssysteme auszuhebeln: Weder die Regierung noch die Opposition, weder die Zivilgesellschaft noch die Wissenschaft, weder die unabhängigen Medien noch die organisierten gesellschaftlichen Verbände von Arbeit und Kapital haben es vermocht zu verhindern, dass die Wucht dieser einen Abstimmung eine so ungeheure Wirkung entfaltet.
In Großbritannien ist es hoch an der Zeit, das zu tun, was geboten ist, wenn die Politik sich hoffnungslos verrannt hat: die Bürger um Rat zu fragen, wohin ihre Gesellschaft sich wenden soll.
Es ist Zeit für Neuwahlen.