Andreas Wild ist ein Mann aus der hinteren politischen Reihe, der Öffentlichkeit nahezu unbekannt. Der 57-Jährige dient als Abgeordneter im Berliner Landesparlament. Er wollte ganz nach oben - und sagte diesen Weg seiner eigenen Partei voraus: "2021 haben wir einen AfD-Kanzler", prognostizierte Wild 2017. Darauf würden nur die wenigsten wetten am Beginn dieses Jahres, das seinen politischen Höhepunkt mit der Bundestagswahl im Herbst hat. Nur neun Prozent der Deutschen würden ihr Kreuz derzeit bei der AfD machen, das ergibt Platz vier. Klar in Führung liegt die konservative Union mit 36 Prozent, die zweitplatzierten Grünen kommen auf die Hälfte. Selbst die notorisch kriselnde SPD - die von der AfD zeitweise überholt worden war - rangiert mit 15 Prozent deutlich vor den Nationalpopulisten.
Auch Andreas Wilds Aufstieg endete vorzeitig. Aufgrund des Kontakts zu Rechtsextremen wurde er aus dem AfD-Parlamentsklub ausgeschlossen. In der Personalie spiegelt sich das ewige Problem, für das ein Teil der Partei sorgt. Zum einen besteht die AfD aus Personen, die trotz aller wohlkalkulierten Eklats und der Diffamierung der anderen Kräfte im Bundestag als "Systemparteien" und "Blockparteien" den Parlamentarismus und dessen Spielregeln im Kern akzeptieren. Zum anderen aus jenen, die am äußersten rechten Rand verankert sind und keine Berührungsängste zu Kräften zeigen, die der Verfassung, dem Grundgesetz, im besten Fall skeptisch gegenüberstehen.
In Bezug auf die Pandemie tritt die Kluft wieder offen zutage. Jörg Meuthen, einer der beiden AfD-Vorsitzenden und lange blind auf dem rechten Auge, kritisierte beim Parteitag Ende November Funktionäre offen, die von "Corona-Diktatur" sprechen und forderte Distanz zur sogenannten Querdenken-Bewegung ein - weil diese auch mit Rechtsextremisten und "Reichsbürgern" kooperiert, wird die Gruppierung mittlerweile vom Verfassungsschutz des Bundeslandes Baden-Württemberg mit geheimdienstlichen Mitteln beobachtet. Für seine Kritik wurde Meuthen prompt von Sachsens AfD-Chef Jörg Urban gescholten: "Die Querdenken-Bewegung muss selbstverständlich unser Partner auf der Straße sein." Er gab seinem Parteichef noch auf dem Weg mit, "ein Bundesvorsitzender muss verschiedene Strömungen in der Partei einen, statt sie zu spalten".
Nur knapp unterlegen
Die Stärke des Rechtsaußen-Lagers wird aber immer mehr zum Problem. Daran ändert die Auflösung der parteiinternen Gruppierung "Der Flügel" ebenso wenig wie der Ausschluss eines ihrer führenden Vertreter, Brandenburgs damaligem AfD-Chef Andreas Kalbitz im vergangenen Jahr. In Ostdeutschland werden bereits mehrere Landesverbände von den Verfassungsschützern beobachtet. Im Jänner könnte die gesamte AfD zum Verdachtsfall für Extremismus erhoben werden, berichtete "Der Spiegel" vor Kurzem, also auch mit geheimdienstlichen Methoden überwacht werden. Ein Fünftel aller AfD-Mitglieder hängt demnach dem Deutschnationalismus an. Auf dem Parteitag unterlagen Kandidaten, die dem früheren "Flügel" zugerechnet werden, bei der Wahl um drei Ämter nur knapp.
Die Radikalisierung der Partei war für die AfD kein Problem, solange sich in Deutschland alles um Flüchtlinge, Migration und Asyl drehte, um die Kritik an Kanzlerin Angela Merkel, die 2015 die Grenzen offengehehalten hatte - eine Kritik, die auch bei Wählern von CDU/CSU, SPD, FDP und der Linkspartei ankam In der nun dominierenden Corona-Politik ist das anders: Mehr als 60 Prozent der Bürger sind mit der Arbeit der Regierung zufrieden, ergab eine Umfrage für den ARD-Deutschlandtrend. Die einzige Wählergruppe, die derzeit ein klar negatives Bild von der schwarz-roten Koalition hat, ist jene der AfD-Sympathisanten. Nur elf Prozent sind mit dem Kurs des Kabinetts in Berlin einverstanden.
Umgekehrt sorgen sich acht von zehn Anhängern der AfD, dass ihre Freiheitsrechte längerfristig eingeschränkt werden könnten. Diese Befürchtung befeuert zum Beispiel Meuthens Kollege an der AfD-Spitze, Tino Chrupalla. Er warf den Regierungen in Bund und Ländern vor, die Ausnahmesituation zum Normalzustand machen zu wollen. Derartige Warnungen teilen jedoch nicht einmal ein Viertel der Sympathisanten der derzeit beliebtesten Parteien, CDU/CSU, Grüne und SPD.
Die AfD ist daher zusehends ein Minderheitenprogramm. Doch der Partei gelingt es auch, Kompromisse zu schmieden: Nach quälend langen Diskussion einigten sich Wirtschaftsliberale und Dirigismus-Verfechter erstmals auf ein sozialpolitisches Programm. "Was wir mehr als alles andere brauchen, ist innerparteiliche Disziplin", fordert auch Meuthen ein.
Und die AfD verfügt über einen stabilen Wählerkern. Während des vergangenen Jahres fiel sie in Umfragen niemals unter acht Prozent. Nach der Wahl 2021 wird es somit aller Voraussicht nach keinen AfD-Kanzler geben, aber weiterhin eine Partei rechts von der konservativen Union im Bundestag. Und Themenkonjunkturen wandeln sich - womöglich auch wieder zugunsten der AfD. Für den ausgeschlossenen Abgeordneten Andreas Wild bleibt eine neue Aufstiegschance aber sicher aus.