2017 war das große Experiment krachend gescheitert. Nach knapp eineinhalb Monaten Verhandlungen beendete die FDP, die sich in den Sondierungsrunden mit den Grünen und der Union immer irgendwie als das fünfte Rad am Wagen gefühlt hatte, spätabends die Jamaika-Gespräche. Nicht zueinander gefunden haben die drei Parteien damals nicht nur wegen persönlicher Differenzen. Auch in politischer Hinsicht war die Schnittmenge vor allem zwischen Grünen und Liberalen dann doch zu klein gewesen. Letztendlich gab es bei den Themen Europa, Soziales, Migration und Klimaschutz mehr Trennendes als Einendes.

Die besten Freunde sind Grüne und Liberale auch vier Jahre später nicht. Und auch inhaltlich sind die Unterschiede zwischen den beiden Parteien, die nach der Bundestagswahl zu den Königsmachern im deutschen Kanzlerrennen avanciert sind, nach wie vor groß. Doch wenn die Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck am heutigen Mittwoch zu ersten Vorsondierungen mit FDP-Chef Christian Lindner und Generalsekretär Volker Wissing zusammenkommen, dürfte es diesmal zumindest in einigen Bereichen leichter sein, eine gemeinsame Basis zu finden.

So sehen Ökonomen selbst in der Wirtschaftspolitik, die vielleicht den schwierigsten Brocken darstellt, Anknüpfungspunkte. Jens Südekum, Wirtschaftsprofessor von der Heinrich-Heine-Universität geht etwa davon aus, dass Grüne und Liberale sich relativ rasch auf wichtige Leuchtturmprojekte einigen werden können.

Kompromisse und grüne Zugeständnisse könnte es etwa beim FDP-Vorschlag zur Aktienrente geben. "Er ist gut und wichtig", sagt Südekum gegenüber der Nachrichtagentur Reuters. Allerdings sollten nicht unbedingt Millionen von Menschen individuell versuchen, Aktiensparpläne aufzubauen. "Besser wäre eine Bündelung durch einen Staatsfonds, der für die Bürger ein globales Aktienportfolio verwaltet und sich durch Beiträge und in der Anfangsphase auch durch Kredite refinanziert", meint Südekum, der Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums ist. "Dieses Projekt wäre, trotz Kreditaufnahme, kompatibel mit der Schuldenbremse."

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Der ehemalige Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, sieht auch im Bereich der Klimapolitik neue Chancen. "Eine deutliche Schwerpunktsetzung auf eine marktwirtschaftliche Klimapolitik mit dem Leitinstrument CO2-Bepreisung lässt sich verbinden mit einer sozialen Flankierung durch ein Energiegeld und einer ökologischen Steuerreform", sagt der Direktor des Walter-Eucken-Instituts in Freiburg. "Die industriepolitischen Notwendigkeiten zum Erreichen der Klimaneutralität lassen sich dann auf ein erträgliches Ausmaß festlegen."

Auch im Bereich der Finanzpolitik sehen die Ökonomen Chancen für eine Einigung. "Eine Verfassungsänderung zur Reform der Schuldenbremse wird ohnehin nicht zustande kommen, denn eine Zwei-Drittel-Mehrheit ist nicht in Sicht", sagt Südekum. "Also muss man im Rahmen der geltenden Regeln operieren." Hier hätte ein Staatsfonds für die Aktienrente noch eine weitere Funktion. "Er wäre quasi die Blaupause für öffentliche Investitionsgesellschaften, wie die Grünen sie wollen", sagt der Experte. Diese könnten große Infrastrukturprojekte finanzieren - etwa den Ausbau von Energie-, Verkehrs- und 5G-Mobilfunknetzen. "So hätte man wichtige Forderungen beider Parteien bedient, ohne dafür die Steuern zu erhöhen oder die Schuldenbremse anzutasten", erläutert Südekum.(rs/reuters)