In einem Zimmer im Wiener Straflandesgericht grübeln in diesen Tagen zwei Berufs- und zwei Laienrichter über einen wahrhaft epochalen Strafakt. Der Schöffensenat muss nach 168. Verhandlungstagen ein Urteil im Buwog-Prozess fällen. Seit Donnerstag berät er, ob Karl-Heinz Grasser und die anderen Angeklagten verurteilt oder freigesprochen werden. Wann das Urteil über die insgesamt 15 Angeklagten verkündet wird, ist offen. Die "Wiener Zeitung" blickt auf die fast dreijährige Hauptverhandlung zurück und zeigt mögliche Folgen des Urteils auf.
Wie lief die Hauptverhandlung ab?
Der Prozess wurde von Marion Hohenecker, der vorsitzenden Richterin, ruhig und umsichtig geführt. Die 39-Jährige fiel mit enormer Detailkenntnis des gigantischen Strafakts auf. Penibel arbeitete sie sich durch die rund 150 Zeugenbefragungen, die Angeklagten konnten ausführlich zu den Vorwürfen Stellung nehmen. Medial hielt sich Hohenecker zurück - ein großer Unterschied zu Richterin Claudia Bandion-Ortner, die während des Bawag-Verfahrens öfters Interviews gegeben hatte.
Zu Beginn hatten Grasser und Walter Meischberger Hohenecker noch als befangen abgelehnt, da ihr Ehemann vorverurteilende Tweets zu Grasser im Internet veröffentlicht hatte. Zuletzt waren die beiden Angeklagten aber voll des Lobes für die Verfahrensführung der Richterin.
Der Großteil des Prozesses lief sachlich ab, auch wenn es so manchen Aufreger gab. Zuletzt etwa bemängelte die Verteidigung, dass während der Verhandlungspausen Gespräche aufgenommen wurden. Die Verteidiger sprachen von einem "Lauschangriff". Hohenecker wies das scharf zurück.
Über welche Vorwürfe wird nun entschieden?
Im Buwog-Prozess werden vier Themenkomplexe behandelt. Die kleinste Rolle nehmen Betrugsvorwürfe gegen Meischberger ein: Er soll bei einem Zivilprozess gelogen haben, um die Räumung seiner Villa hinauszuzögern. Meischberger bestreitet das.
Umfangreicher ist der zweite Komplex: Die teilstaatliche Telekom soll Schmiergelder an Politiker und Parteien bezahlt haben, die Zahlungen wurden laut Anklage über Unternehmen des Ex-Lobbyisten Peter Hochegger abgewickelt. Ein Ex-Telekom-Manager wurde freigesprochen, weiterhin angeklagt sind Hochegger, Ex-Telekom-Vorstand Rudolf Fischer und Meischberger. Fischer und Hochegger sind teilgeständig, Meischberger dementiert die Vorwürfe.
Den größten Brocken macht die Buwog-Anklage aus. Grasser, Hochegger, Meischberger und Immobilienmakler Ernst-Karl Plech sollen einen Plan entworfen haben, um bei Privatisierungen abzukassieren.
Laut Anklage passierte das in zwei Fällen. Einerseits bei der Privatisierung der Bundeswohngesellschaften im Jahr 2004. Grasser soll damals Informationen aus dem geheimen Bieterverfahren weitergegeben und mit Meischberger, Hochegger und Plech Schmiergeld erhalten haben. Alle Angeklagten bis auf Hochegger bestreiten das. Schmiergeld soll weiters auch bei der Einmietung der Finanzbehörden in den Linzer Terminal Tower im Jahr 2006 geflossen sein: Diesen Vorwurf dementierten alle Angeklagten.
Wo verliefen Bruchlinien in dem Prozess?
Für Aufsehen sorgte Hocheggers Teilgeständnis. Er bestreitet zwar die Existenz eines Tatplans, zum Buwog-Schmiergeldvorwurf bekennt er sich aber schuldig. Laut der Verteidigung lügt Hochegger: Er sei nicht glaubwürdig, das Geständnis sei ein perfider PR-Schmäh des Werbeprofis. Hochegger konterte, er habe sein Geständnis abgelegt, um mit der Vergangenheit abzuschließen und seinen inneren Frieden zu finden.
Im Schlussplädoyer der Ankläger spielten Hochegger und andere Belastungszeugen nur eine untergeordnete Rolle. Der überwiegende Teil drehte sich um Zahlungsflüsse. Die Staatsanwälte brachten vor, dass Konten, auf denen die Schmiergelder gelandet sein sollen, Grasser zuzuordnen sind. Dadurch soll bewiesen werden, dass Grasser mitkassiert hat. Die Verteidigung weist das zurück: Keines der Konten gehöre Grasser.
Wie Hocheggers Geständnis und die anderen vorgebrachten Beweise zu bewerten sind: Darüber entscheidet der Schöffensenat unter Hoheneckers Vorsitz.
Wie geht es nach dem Urteil weiter?
Nach dem Urteil könnte die Rechtssache in die nächste Instanz gehen. Der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft steht eine Nichtigkeitsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof (OGH) offen. Darin kann etwa gerügt werden, dass während der Verhandlung formelle Fehler passiert sind oder im Urteil Beweise mangelhaft gewürdigt wurden. Weiters kann in einer Berufung eine niedrigere oder höhere Strafe gefordert werden.
Der OGH kann die Verurteilung oder den Freispruch zur Gänze oder zum Teil aufheben. In diesem Fall kann er in der Sache selbst entscheiden oder sie zur erneuten Entscheidung an ein Gericht erster Instanz zurückweisen. Der Prozess müsste dann, im Umfang der Aufhebung, neu durchgeführt werden.
Der OGH kann das Urteil auch bestätigen, wodurch der Frei- oder Schuldspruch rechtskräftig wird. Bei einem Schuldspruch könnte anschließend noch die Strafhöhe reduziert oder erhöht werden, darüber entscheidet das Oberlandesgericht Wien. Möglich wäre bei einer Verurteilung auch, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention anzurufen.
Welche Folgen könnte die Entscheidung noch haben?
Dem Verfahren haben sich mehrere Privatbeteiligte angeschlossen. Sie machen Ersatzansprüche gegen Grasser und andere Angeklagte geltend. Darunter die bei der Buwog-Privatisierung unterlegene CA Immo. Hohenecker könnte bei einer Verurteilung einen Ersatz zusprechen oder entscheiden, dass die Beteiligten ihre Ansprüche zivilrechtlich durchsetzen müssen.
Auf der zivilrechtlichen Ebene ist die CA Immo bereits tätig: Sie hat unter anderem gegen die Republik Österreich eine Schadenersatzklage eingebracht und macht einen Schaden von zwei Milliarden Euro geltend. Denn eigentlich hätte die CA Immo den profitablen Zuschlag erhalten müssen, wenn "Amtsträger der Republik Österreich" die Privatisierung nicht unrechtmäßig beeinflusst hätten, so das Argument. Wird Grasser nun verurteilt und die Privatisierung als geschoben qualifiziert, würde das die Position der CA Immo stärken.