Eigentlich geht es gar nicht ums Essen, in Jessica Hausners "Club Zero". Obwohl darin eine überengagierte Lehrerin (Mia Wasikowska) an einer Eliteschule einen Kurs über "verantwortungsbewusstes Essen" anbietet. Das sieht so aus: Einige Schüler sitzen im Kreis und bekommen erzählt, dass Essen im Prinzip etwas Schädliches ist. Für den Körper, für die Psyche, für die Umwelt. Also lösen wir das Problem, indem wir weniger essen. Bewusst eben. Aus dem Schulmenü wird das Hendl gestrichen, nur die Kartoffeln bleiben. Und werden in der Menge halbiert, geviertelt. Am Ende liegt nur noch eine Kartoffelspalte am Teller.

Ihre Schüler nehmen das Konzept dankbar an; die meisten von ihnen entstammen einer britischen Oberschicht, die in gelackten Designerhäuschen wohnt und vegan kocht. "Vegan ist so was von out", sagt die Tochter zu ihrem Vater, bevor sie nach dem Essen aufs Klo eilt, um sich zu übergeben. Sie ist Teil des neuen Kurses an der Schule, der bald immer extremere Formen annimmt. Denn die Lehrerin will ihre Schützlinge dem "Club Zero" näher bringen, eine Vereinigung von Menschen, die sich verständigt haben, überhaupt nicht mehr zu essen.

Hausner vor den Fotografen in Cannes. Katharina Sartena - © Katharina Sartena
Hausner vor den Fotografen in Cannes. Katharina Sartena - © Katharina Sartena

Jessica Hausner ist Stammgast an der Croisette. Alle ihre Arbeiten sind hier gelaufen. Dieses "Abonnement" hat dem wunderbaren "Amour Fou" 2014 eine große Weltbühne beschert, aber auch dem letzten Film "Little Joe", ihrem englischsprachigen Debüt, viel Licht gebracht. Allein: Die Regisseurin befindet sich auf einem Pfad, der sie wegführt vom überraschenden, auch verstörenden Kino, das sie bekannt gemacht hat. Er wirkt eher redundant und verschreibt sich einer formal sehr strengen Filmsprache, die man von Hausner kennt; doch der völlig durchdesignte Film lässt niemals wirkliches Interesse an seinem Thema verspüren, es ist ihm das Aussehen wichtiger als sein Inhalt.

Man kann den Film auch anders lesen, rein gar nicht als thematisches Statement zu Ernährungswahn, Helikoptereltern oder Kritik an der unersättlichen Konsumgesellschaft. "Club Zero" verhandelt auch ein Experiment, das Gruppendynamiken und Meinungsbildung erforscht. Die Lehrerin als Instanz manipuliert ihre Schüler derart, dass diese ihr blind folgen würden, egal, was sie noch von ihnen verlangt. Solche Mechanismen kennt man (nicht erst) aus der Propaganda des Dritten Reichs, sie werden durch moderne Algorithmen heute nicht nur im Marketing, sondern auch in der Politik reichlich eingesetzt - mit den bekannten Folgen, dass Demokratie und Meinungsvielfalt so vielfältig nicht mehr sind. Soziale Medien schaffen Blasen, innerhalb derer sich Menschen radikalisieren können, zu Lasten einer pluralistischen Gesellschaft, von der alle träumen, die es aber real nicht gibt. "Club Zero" als Fingerzeig auf dieses Phänomen zu lesen, gibt dem Film ein anderes Gewicht als wenn man ihn auf den Ernährungsaspekt reduziert. Schade ist, dass Hausner das nicht deutlicher herausgearbeitet hat und man daher über eine Rezeption in diese Richtung erst beim zweiten Hinsehen nachdenkt.

Lakonisches aus Finnland

Schwer in die Gänge kommt Aki Kaurismäkis neue Arbeit "Fallen Leaves". Seine Hardcore-Fans schwärmten an der Croisette schon von einem neuen Meisterwerk des lakonischen Finnen, in dessen Leben und Werk der Alkohol eine bedeutende Rolle einnimmt. Aber "Fallen Leaves" ist in seiner stoischen Ruhe ein bisschen "more of the same", montiert aus vielen Markenzeichen und Versatzstücken kaurismäkischer Provenienz. Es ist eine rührende Liebesgeschichte, die an den Rändern der Gesellschaft passiert: Eine Supermarktangestellte wird entlassen, weil sie abgelaufene Ware mit nach Hause genommen hat; sie lernt einen ebenso mittellosen wie trinkfreudigen Mann kennen, der ihre Telefonnummer verliert, die sie ihm auf einen Zettel notiert hat. Das alles nach einem Kinobesuch, nach dem die beiden vor einer Vielzahl bunter Filmplakate stehen, die als Referenzen auf Kaurismäkis cineastische Vorlieben betrachtet werden können. Oder als Jux, den er sich macht. Das Lakonische ist seinem Stil eingeschrieben, ebenso wie die Künstlichkeit in seinen Einstellungen und im Spiel seiner Akteure. Zumindest in diesem Punkt nähert sich Hausner diesem Regisseur an: Auch in "Club Zero" ist das Spiel der Akteure von einer dramatischen Künstlichkeit, die zuspitzen soll, wo es keine Zuspitzung bräuchte.