Es dauerte ein paar Tage, um die Dimension zu begreifen: Nur knapp ist Europa am Freitag an einem flächendeckenden Stromausfall vorbeigeschrammt, ausgelöst durch einen starken Frequenzabfall. Ein Blackout in Europa? Bis dahin schwer vorstellbar. Und vor allem: Auf welchem Fundament wird die digitale Zukunft von morgen gebaut, und hält dieses Fundament.
Am Dienstag rafft sich nun die heimische Strombranche zusammen und forderte lautstark einen "Runden Tisch". Bei dem Treffen aller Stakeholder sollten pragmatische Lösungen für eine Blackout-Vorsorge gefunden werden, sagte etwa Niederösterreich-Netz-Geschäftsführer Werner Hengst am Dienstag. "Wir brauchen stabile Netze, um die Versorgungssicherheit garantieren zu können", sagte er. Am Freitag sei man mit einem blauen Auge davongekommen, doch würde sich die Situation von Jahr zu Jahr verschärfen. In Niederösterreich habe die EVN mit ihrem kalorischen Kraftwerk Theiß bei Krems 2020 mehr als hundert Mal eingreifen müssen.
Wegfall großer Kraftwerke
Der Grund: auf der einen Seite der volatile Ausbau der Erneuerbaren-Stromerzeugung, auf der anderen Seite der Wegfall großer Backup-Kraftwerke in Europa. So stehe Strom aus Windrädern nur 3000 Stunden im Jahr zur Verfügung.
Das dies viel zu wenig sei, wurde auch auf der Jahresanfangskonferenz der heimischen Windkraftbranche kritisiert. Österreichs Windräder produzieren pro Jahr rund 7 Milliarden Kilowattstunden Strom für rund 2 Millionen Haushalte. Das entspricht rund 11 Prozent des österreichischen Stromverbrauchs.
Im vorigen Jahr sei der Ausbau der Windkraft erstmals zurückgegangen. Heute gibt es österreichweit um 26 Anlagen bzw 40 Megawatt Leistung weniger als noch vor einem Jahr. Nur sieben Windräder wurden 2020 gebaut. Dem steht der Abbau von 33 Windrädern gegenüber.
In Summe ging die Zahl der Anlagen auf 1307 zurück. Die installierte Leistung war mit 3120 Megawatt (MW) um rund 40 MW niedriger als 2019. Ein jahrelanger Stau an Bewilligungen sei die Ursache, sagte IG-Windkraft-Geschäftsführer Stefan Moidl.
Moidl appellierte daher an alle Parteien für einen nationalen Schulterschluss, "für brauchbare Investitionsgrundlagen" für erneuerbare Energie. Diese bauche man im ersten Halbjahr 2021, sonst verliere man enorm viel Zeit. Der Ausbau sollte in diesem Jahr aber wieder nach oben gehen, die Zahl der Windräder soll auf 1359 steigen, die installierte Leistung auf rund 3400 MW.
Warten auf das EAG
Einmal mehr wurde die Bedeutung des Erneuerbaren Ausbau Gesetzes (EAG) betont. Für das derzeit in Begutachtung liegende EAG ist im Nationalrat und im Bundesrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Mit dem EAG könne auch ein Investitionsturbo für die österreichische Wirtschaft nach der Corona-Pandemie gezündet werden, sagte Lukas Püspök, Geschäftsführer der Püspök-Gruppe. Das EAG muss auch von der EU genehmigt werden. Eine Zertifizierung laufe üblicherweise sechs bis neun Monate, so Moidl. Es gebe auch keine Ausschreibungen für Wasserkraft oder andere Technologien.
Für das Ziel, bis 2030 die Stromversorgung zu 100 Prozent Strom aus Erneuerbaren zu bestreiten, müssen bei Windkraft 10 Terawattstunden (TWh) dazukommen. Um das zu erreichen, sei ein jährlicher Zubau von 500 Megawatt (MW) installierter Leistung nötig, sagte Moidl. Da müsse noch ordentlich ein Zahn zugelegt werden. Im Vorjahr wurden weniger neue Windräder aufgestellt als abgebaut, und die Investitionen waren deutlich niedriger als im Jahr davor. Heuer wird durch einen Abbau von Warteschlangen mit einem Zuwachs von 315 MW bzw. rund 276 MW netto nach Abzug von abgebauten Windrädern gerechnet. Anlagen, für die Anfang 2020 Fördergelder freigegeben wurden, dürften heuer vermehrt umgesetzt werden. Projekte werden nun realisiert, die zum Teil bereits in den Jahren 2015 und 2016 genehmigt wurden und im Laufe des Vorjahres umgeplant werden mussten. Die Branchenvertreter kritisierten heute einmal mehr die Hürden bei den Bewilligungen wie etwa, dass Projekte zum Teil mehrfach genehmigt werden müssten.
Zur jüngsten Störung des Stromnetzes, bei dem Europa am Freitag durch einen starken Frequenzabfall im Stromnetz nur knapp an einem flächendeckenden Stromausfall vorbeigeschrammt ist, betonte Moidl, dass die Erneuerbaren nicht der Grund für die Probleme gewesen seien, die man jetzt gesehen habe. Es gebe keine Korrelation zwischen Erneuerbaren Energien und einer schlechten Netzsituation, sondern es hänge von der Organisation ab.
Der Fachverband Gas-Wärme plädierte am Montag nach dem Fast-Blackout vom Wochenende für ein "Umdenken" in der heimischen Energiepolitik. Statt einer primär auf Strom fokussierten Energiewende brauche Österreich weiterhin die "Vielseitigkeit aller Energieträger", also vor allem auch speicherbares Gas (etwa Biogas und Wasserstoff) sowie Fernwärme, um auch künftig gut durch den Winter zu kommen. (vasa)