Achtzehn Jahre ist eine lange Zeit. Zwischen Geburt und Volljährigkeit liegt eine halbe Ewigkeit. 18 Jahre können aber auch kurz sein. Zu kurz, um etwa den Kölner Dom zu bauen - oder Gaudis Sagrada Familia. Auch das AKH Wien war weit länger eine Baustelle. Nun will die Stadt Wien in 18 Jahren eine noch größere Aufgabe stemmen. Das Vorhaben klingt vermessen. Im Jahr 2040 sollen alle Bürger grün heizen.

Die Stadt will bis dahin klimaneutral sein - also keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre blasen. Dafür muss sie die städtische Wärmeversorgung komplett umbauen. Denn in hunderttausenden Wiener Wohnungen hängen umweltschädliche Gasthermen. Die weißen Metallkästen mit der blau züngelnden Flamme heizen die halbe Stadt. Und mit ihr das Klima auf. Sie verfeuern Erdgas. Erdgas ist ein fossiler Brennstoff und als dieser hauptverantwortlich für die globale Erwärmung. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen die Thermen verschwinden - alle.

Die Beseitigung der Therme ist Wiens größte Hürde am Weg zur Klimaneutralität. Das Problem ist ihre enorm hohe Anzahl. Sie ist das primäre Heizsystem der Stadt. Wie viele Gasthermen in Wien tatsächlich brummen, lässt sich nur schätzen. Laut Statistik Austria heizten 442.287 Haushalte im Jahr 2020 mit Erdgas, das Gros davon mittels Gasetagenheizung, also einer Therme. Allerdings zählt die Statistik nur Hauptwohnsitze. Eine Studie des Beratungsbüros für Energieeffizienz "e7 Energie Markt Analyse GmbH" führte im Jahr 2017 eine Studie im Auftrag der MA 20 (Energieplanung) durch. Sie ging von rund 470.000 privaten Gasthermen in 38.700 Gebäuden aus. Fast 60 Prozent davon wurden vor 1960 gebaut.

Keine Bastelarbeit

Bis 2040 müssten pro Jahr im Schnitt also etwa 26.000 Heizungen in 2.150 Wohnhäusern umgerüstet werden. Mit dem Abhängen der Thermen ist es dabei nicht getan. Mauern müssen aufgestemmt, Rohre verlegt, Wände verputzt, Fassaden gedämmt werden. In vielen Fällen wird das Parkett entfernt und eine Fußbodenheizung installiert. Unterschiedliche Handwerker müssen für die Arbeiten beauftragt werden. Es staubt, Schutt und Dreck fallen an. Der Umbau einer Heizung ist eher Generalsanierung als Bastelarbeit. Er ist ein massiver Eingriff in die Substanz des Hauses. Er ist aufwendig und kostet viel Geld. Gasetagenheizungen sind dezentrale Systeme. Sie beheizen nur eine Wohnung. Rüsten Wohnungseigentümer um, müssen sie ein Rohrsystem im gesamten Haus verlegen. Nahezu alle umweltschonenden Alternativen zur Therme funktionieren zentral. Zehntausende Baustellen in 18 Jahren sind zweifellos eine Herkulesaufgabe. Rein technisch ist sie für Lukas Kranzl aber lösbar. Der Energieökonom forscht an der der TU Wien zum Thema Energieeffizienz im Gebäudesektor. "Sicher, die Grundvoraussetzung für alternative Heizsysteme ist ein Zentralheizungssystem. Viele Eigentümer sind aber durchaus findig. Sie verlegen die Steigleitungen in Lüftungsschächten und kalten Rauchfängen." In vielen Fällen sei das aber nicht möglich, dann muss gestemmt werden. "Im verbleibenden Zeitraum von fast zwei Jahrzehnten stehen in vielen Gebäuden sowieso Renovierungsarbeiten an. Die müssen dafür genutzt werden, ein zentrales Rohrsystem zu verlegen."

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Im bautechnischen Sinn könnte es sich also ausgehen. Im politischen wird es knapp. Hier ortet Kranzl Luft nach oben. Die Schwierigkeit bestehe darin, alle Eigentümer zur Umrüstung zu bewegen. "Allein mit Förderungen wird das kaum möglich sein." Wer seine Gastherme gegen ein umweltfreundliches Heizsystem tauscht, bekommt zwischen 5.000 und 10.000 Euro Fördergeld. "Selbst, wenn man den Menschen eine neue Heizung schenkt, werden sich viele die Umbauarbeiten nicht antun wollen." Es braucht Vorschriften. Im Neubau dürfen Gasheizungen ab 2025 nicht mehr verbaut werden. Im Rest der Stadt sollen sie ab 2040 verboten werden. Für Hans Jörg Ulreich, Berufsgruppensprecher der Bauträger in der Wirtschaftskammer, ist das zu wenig. Gegenüber der "Wiener Zeitung" kritisiert er "fehlenden politischen Tatendrang". Von der Stadtregierung fordert Ulreich, das Kostendeckungsprinzip beim Fernwärmeausbau aufzuheben. Die Kosten für den Ausbau des Fernwärmenetzes sollen sich nicht mehr decken müssen. So würde die Stadt wesentlich mehr Haushalte erreichen. "Heute wird nur dort gegraben, wo es sich auch finanziell ausgeht." Vom Bund wünscht sich Ulreich eine Duldungspflicht für Mieter. "Derzeit muss sich niemand an die Fernwärme anschließen lassen, wenn er nicht will. Damit wird die Umstellung unglaublich aufwendig, es ist viel Überzeugungsarbeit zu leisten." Die Wien Energie will bis Ende 2022 einen strategischen Plan erstellen, wie die Umstellung aller Gasheizungen funktionieren kann, wie es auf Anfrage der "Wiener Zeitung" heißt.

Die Technologien stehen bereit

Schafft es die Politik, die Umrüstung großflächig ins Rollen zu bringen, sieht Kranzl keinen Grund, warum der Zeitplan scheitern sollte. Die Wissenschaft hat ihre Hausaufgaben gemacht. Die Technologien stehen bereit. An der breiten Palette alternativer Heizsysteme ruhen die Hoffnungen vor allem auf zwei Kandidaten - Fernwärme und Wärmepumpen. Alle anderen - von der Solar- und Photovoltaikanlage über das Biomassekraftwerk bis hin zum Holzofen - sind laut Experten höchstens als Ergänzungssysteme bei der Wärmeversorgung sinnvoll. Den Paradigmenwechsel werden Fernwärme und Wärmepumpe einläuten. Das zeigt auch eine aktuelle Studie. Sie wurde im Auftrag der Wien Energie vom Wirtschaftsberatungsunternehmen Compass Lexecon erstellt und im Oktober publiziert. Für die Stadt ist sie so etwas wie ein erster Fahrplan auf dem Weg zur Klimaneutralität. Die Empfehlung der Studie ist eindeutig: Im Jahr 2040 sollten 56 Prozent des gesamten Wärmebedarfs der Stadt mit Fernwärme gedeckt werden, der Rest im Wesentlichen mit Wärmepumpen.

Bereits heute heizt ein Drittel der Wiener mit Fernwärme. Im Jahr 2020 waren laut Wien Energie 420.000 Haushalte an das Fernwärmenetz der Stadt angeschlossen. Über 1.200 Kilometer lange, unterirdische Rohrleitungen wird heißes Wasser in die Wohnungen gepumpt. Vor allem im Gemeindebau forciert die Stadt die Umstellung. "Über 50 Prozent der Gemeindebauwohnungen werden bereits mit Fernwärme beheizt", sagt Andrea Janousek, Unternehmenssprecherin von Wiener Wohnen. Das sind immerhin rund 220.000 Haushalte. Jedes Jahr kommen 1.000 Wohnungen dazu. "Jede leere Gemeindebauwohnung, die saniert wird, wird an das Fernwärmenetz angeschlossen, wenn das möglich ist."

Schmutzige Fernwärme

"Durchschnittlich schließen wir jährlich Fernwärmekunden mit einer Leistung von 70 Megawatt neu an das Netz an", sagt Alexander Hoor, Pressereferent der Wien Energie. Das entspricht dem Wärmebedarf von 20.000 Haushalten. Insgesamt könnten aktuell rund 30.000 Wiener Wohnungen recht unmittelbar auf Fernwärme umgestellt werden. "Sie haben eine Leitung im Haus. Der Einbau ist innerhalb weniger Tage durchführbar", sagt Hoor. Wenn die Bewohner das wollen.

Fernwärme gilt als ökologisch. Doch Fernwärme ist nicht Fernwärme. Der Begriff sagt noch nichts über den Brennstoff aus, mit dem die Wärme erzeugt wird. Theoretisch könnte man in den Anlagen auch schädliches Schweröl abfackeln. Fernwärme ist nur so lange umweltfreundlich, solange es der Brennstoff selbst auch ist. Womit werden die Fernwärmanlagen der Stadt also befeuert?

Ein Drittel der Fernwärme wird durch die Verbrennung von Müll erzeugt. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Unsere Abfälle verbrennen in den drei großen Anlagen Spittelau, Simmeringer Heide und Flötzersteig - und heizen gleichzeitig unsere Wohnzimmer. 52 Prozent stammen allerdings aus Heizkraftwerken, wie dem Kraftwerk Simmering. Dort wird in sogenannten Kraft-Wärme-Kopplungen Strom und Wärme generiert. Die Anlagen erzeugen mit wenig Brennstoff viel Energie. Diese Effizienz macht Fernwärme zu einem saubereren System als herkömmliche Thermen. Umweltfreundlich ist sie deshalb noch lange nicht. Denn in den Kopplungsanlagen der Kraftwerke wird russisches Erdgas verbrannt. Bis 2040 muss sich das ändern.

Ein Drittel der Fernwärme wird durch die Verbrennung von Müll erzeugt. 
- © Wien Energie / Christian Hofer

Ein Drittel der Fernwärme wird durch die Verbrennung von Müll erzeugt.

- © Wien Energie / Christian Hofer

"Der Anteil von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen wird auf 13 Prozent zurückgefahren", sagt Hoor von der Wien Energie. Sie sollen ab 2030 außerdem mit Grünem Gas betrieben werden. Das Biogas lässt sich etwa aus Kuhfladen oder biologischem Abfall gewinnen. "55 Prozent der Fernwärme wird aus Großwärmepumpen und Geothermie erzeugt werden. Der Rest durch die Verbrennung von Müll."

Vereinfacht gesagt, fördern Wärmepumpen die im Erdreich, im Grundwasser, in der Luft gespeicherte Wärme und geben sie an ein Heizsystem ab. Bei der Hauptkläranlage in Simmering plant die Stadt die größte Wärmepumpe Europas. "In wenigen Wochen werden wir mit dem Bau beginnen", sagt Hoor. Sie nutzt die Restwärme aus dem Wiener Abwasser und speist sie in das Fernwärmenetz ein. Im Vollbetrieb soll sie Wärme für 100.000 Haushalte erzeugen.

Will die Stadt die Energiewende schaffen, reicht die Wärme der Kloake allerdings nicht. Hier kommt Geothermie ins Spiel - die Wärme aus der Tiefe. Wien sitzt auf einem Schatz. Seit 2016 versucht die Stadt, mit dem Projekt Geotief herauszufinden, wie heiß es unter der Stadt ist. Anfang Dezember wurden erste Ergebnisse präsentiert. Sie sind verheißungsvoll. In 3.000 Meter Tiefe liegt ein bis zu 100 Grad heißer See. Er erstreckt sich über mehrere Quadratkilometer von der Donaustadt bis Simmering. Bis 2030 soll das Reservoir 125.000 Wiener Haushalte versorgen.

21,2 Milliarden Euro nötig

Auch abseits der Fernwärme soll die Wärme aus der Tiefe in absehbarer Zeit mehr Wohnzimmer der Stadt heizen. Noch sind private Wärmepumpen in Wien aber rar. Laut Statistik Austria nutzt sie lediglich ein Prozent der Haushalte als primäres Heizsystem. Der Wert muss bedeutend steigen. "Vor allem im Neubau sollte auf Erd-Wärmepumpen gesetzt werden", sagt Kranzl von der TU Wien. In der dicht bebauten Bestandsstadt sind die Bohrungen hingegen schwierig. Erd-Wärmepumpen nutzen die Wärme des Grundwassers. "Stechen zu viel Pumpen ein Grundwasserreservoir an, kühlt es ab", sagt Kranzl. Die Effizienz der Heizungen nimmt ab. Dennoch sieht der Wissenschaftler in der Erdwärme die Zukunft. Theoretisch wären auch Luft-Wärmepumpen möglich. Die sind allerdings laut.

Die Klimaneutralität soll den Klimawandel bremsen. In gewisser Weise kommt ihr der entgegen. Die Studie von Compass Lexecon geht davon aus, dass durch Klimaerwärmung und Wärmedämmung der Wärmebedarf in Wien bis 2040 trotz Bevölkerungswachstums um 18 Prozent abnehmen wird. Den Rest müssen Geothermie, Erdwärme, Biogas, Fernwärme decken.

Sie sollen 470.000 Thermen ersetzen. Der Umstieg frisst Geld. Laut Studie kostet die Klimaneutralität der Volkswirtschaft insgesamt 21,2 Milliarden Euro. Der Großteil fällt auf den Sektor Wärme. Eine lohnende Investition. Denn ohne Umbau der Heizungen heizt sich die Welt weiter auf. Die weißen Metallkästen mit der züngelnden Flamme müssen verschwinden. In den 2040er-Jahren sollen sie Erinnerung sein, von der Eltern ihren Kindern erzählen, wie deren Eltern einst vom Kohleofen in der Küche.