Graz. Vieles auf der diesjährigen Diagonale passiert mit einer gewissen Dringlichkeit: in den Filmen, in den Diskussionen, in den Rahmenveranstaltungen. Es wird diskutiert über das VR-Kino, in dem virtuelle Realitäten unsere Sehgewohnheiten auf den Kopf stellen. Es wird im Diagonale-Trailer von Johann Lurf gegen die politische Aufstachelung von Menschen gewettert, wo ein sich immer schneller drehendes buntes Wasserrad im Wechselspiel mit immer eifriger skandierten Parolen die zunehmende Radikalisierung des direkt in Zusammenhang stehenden Prozesses zwischen Migration und künftigen Wahlgewinnern thematisieren. Es steht noch eine Debatte über die Standortbestimmung des österreichischen, innovativen Kinos bevor (Samstag, 11 Uhr, im Grazer Kunstverein), bei der es um politische Veränderungen und die daraus resultierenden Folgen für die innovative Kunst gehen wird.

All das macht die Diagonale seit Jahren aus: Widersprüche zusammenführen, kollidieren lassen. Ein Diskurs zwischen Künstlern und ihren Förderern entspinnt sich nur in einer Filmwirtschaft, die künstlerisch zur Gänze von eben jener politischen Förderhand abhängig ist. Noch fehlen leider die Rezepte der Kunstschaffenden für alternative Finanzierungsvarianten der Filmkunst (wiewohl es ein Leichtes wäre, einmal ein Panel zu diesem Thema zu führen, natürlich auch unter Einbeziehung neuer "Geldgeber" wie Netflix & Co.).

Die Konflikte in der Branche sind über die Jahre die gleichen geblieben: Junge Filmproduzenten stellen unter dem Titel "cinemanext.at" ihre Sicht der verkrusteten österreichischen Förderlandschaft dar: Es geht dabei speziell um die Nachwuchsförderung, die - wenn es nach Cinemanext geht - nicht existent ist. "Dass es hierzulande eine neu gedachte nationale Nachwuchsförderung braucht, wird mittlerweile von vielen Seiten der Branche diskutiert", so die Initiatoren. "Die vereinzelten Fördermaßnahmen, die es gibt, zeigen wenig Innovation und Mut, greifen nicht ineinander und fokussieren oft nur auf kreative Positionen wie Buch oder Regie."

Stolpersteine für Projekte

"Für junge Filmproduzentinnen und -produzenten gibt es wenig bis gar keine Handreichung, im Gegenteil: Immer mehr Hürden werden aufgestellt, damit sich die Situation auf dem ohnehin heiß umkämpften Fördermarkt nicht weiter zuspitzt".

Solche Hilferufe sind nicht selten. Hinter vorgehaltener Hand erfährt man von Förderdramen und Verzögerungen, die ihresgleichen suchen. Kaum ein Filmprojekt in Österreich, dass wegen Förder-Ablehungen oder -Bedingungen nicht monatelangen Stillstand (und damit auch ein geschmälertes Kreativpotenzial) stemmen müsste.

In den Grazer Kinos sieht die Sache derweil noch anders aus: Während der Franz-Grabner-Preis erwartbar an den bereits überdekorierten Dokumentarfilm "Waldheims Walzer" von Ruth Beckermann ging, sind die neuen Arbeiten bei dieser Diagonale gewohnt fordernd: "Die Kinder der Toten" von Kelly Copper und Pavol Liska, eine filmische Adaption von Elfriede Jelineks gleichnamigem Roman, die schon bei der Berlinale ihre Uraufführung feierte, beginnt mit malerischen Super8-Bildern in der paradiesischen Obersteiermark, entpuppt sich aber bald als Horrortrash vor Heimatfilmkulisse.

In dem autobiografisch gefärbten "Nevrland" erzählt Gregor Schmidinger von einem 17-jährigen Teenager, der unter einer Panikstörung leidet und in einem Sex-Chat den 26-jährigen Künstler Kristjan kennenlernt. Zwischen den beiden entspinnt sich bald mehr als eine virtuelle Freundschaft. Die Doku "Eine eiserne Kassette" von Nils Olger forscht im Nachlass des Großvaters des Filmemachers und hebt dort 377 Fotografien aus dessen letztem Kriegseinsatz aus - ein Film über Verdrängung und das große Schweigen.

Nicht weniger dringlich ist Nathalie Borgers’ "The Remains - Nach der Odyssee", der sich dem Sterben im Mittelmeer annähert und bei einer syrischen Flüchtlingsfamilie nachforscht, die dreizehn Angehörige in den Fluten verloren hat.

Am Samstag Abend werden in Graz die Preise verliehen. Infos dazu finden Sie unter www.wienerzeitung.at/diagonale