Graz. Jury-Entscheide sind selten objektiv, meistens unvorhersehbar und immer diskutierbar, aber in diesem Jahr haben in Graz die zum gesellschaftspolitischen Klima und zum Jubiläumsjahr passenden Filme die mit je 21.000 Euro dotierten Hauptpreise der Diagonale abgeräumt. Einerseits vorhersehbar, aber dann doch auch den gewollt politischen Charakter dieser Filmschau unterstreichend. Immerhin: Die ausgezeichneten Filme haben - und das ist keinesfalls selbstverständlich - beides: nicht nur wichtige politische Aussagen, sondern auch eine filmische Qualität.
Da ist zunächst der Preis für den besten Spielfilm, der an Christian Froschs "Murer - Anatomie eines Prozesses" ging. Dieser Gerichtsfilm, der die Diagonale eröffnete, erzählt jenen Prozess nach, der als Skandal in die österreichische Justizgeschichte einging, nämlich, als man 1963 den Bauern und ÖVP-Funktionär Franz Murer freigesprochen hatte, obwohl er zwanzig Jahre zuvor in NS-Uniform als der "Schlächter von Wilna" die dortige jüdische Bevölkerung beinahe ausgerottet hat. Froschs Film, der bereits in den Kinos angelaufen ist, ist ein wichtiger Beitrag zur Illustration, wie die Österreicher bis lange nach dem Krieg blind und verleugnend durch den Alltag gegangen sind. Die Diagonale hat damit vielleicht nicht den besten aller Spielfilme aus diesem Jahrgang ausgezeichnet, aber einen, der absolut in die Zeit passt.

Ebenso in die Zeit passt Nikolaus Geyhalters Dokumentarfilm "Die bauliche Maßnahme", der sich am Brenner umsieht, um dort zu dokumentieren, wie die Menschen auf den geplanten Zaun reagieren, der hier eine innereuropäische Grenze hätte werden sollen, auf dass die Flüchtlinge doch lieber in Italien bleiben. Der Zaun wurde angeliefert, aber nie errichtet. Geyrhalter fängt den Moment ein, als die Flüchtlingswelle im Vorjahr zurückging, man seitens der Politik den Brenner jedoch dennoch dicht machen wollte. In gewohnt entschleunigter Weise und mit beeindruckenden Bilderwelten illustriert Geyrhalter die Stimmungen und Meinungen der Befragten und entwirft so ein Gesellschaftsporträt zwischen Weltoffenheit und Scheuklappendenken.

In der Sparte Innovatives Kinos setzte sich Johann Lurf mit seinem Experimentalfilm "★" durch, für den es 9.000 Euro gab. Lurf montiert darin Szenen von klaren Sternenhimmeln aus über 550 Filmen der Filmgeschichte hintereinander - Ausschnitte von 1905 bis 2017 sind zu sehen und werden verbunden über einen galaktischen Soundtrack.
Bei den mit 5.500 Euro dotierten Kurzspielfilm-Preisen reüssierte Bernhard Wenger mit seiner Urlaubsgroteske "Entschuldigung, ich suche den Tischtennisraum und meine Freundin", die auch von der Jugendjury mit den 7.000 Euro für den besten Nachwuchsfilm bedacht wurde.Die beiden, je mit 3.000 Euro dotierten Schauspielpreise können sich heuer zwei Ensembles teilen - nämlich die Akteure von Katharina Mücksteins "LAnimale" und Stefan A. Lukacs "Cops". Und ebenfalls je 3.000 Euro für den Schnitt gingen an Niki Mossböck im Bereich Spielfilm für ihre Arbeit an "Licht" und "Life Guidance" sowie an Joana Scrinzi in der Dokumentarfilmkategorie für "Gwendolyn" und "Nicht von schlechten Eltern". Das Spielfilmdebüt von Regisseur Lukas Feigelfeld, das mittelalterliche Psychosenporträt "Hagazussa", konnte schließlich indes die je mit 3.000 Euro verbundenen Preise für Bildgestaltung (Mariel Baqueiro) und Sounddesign (Niklas Kammertöns) für sich reklamieren.