Wie kein zweiter Film bisher hat "Joker" bei den diesjährigen Filmfestspielen von Venedig die Zuschauer in seinen Bann gezogen: Die Geschichte um Batmans Erzfeind Nummer eins wurde von Regisseur Todd Phillips mit Joaquin Phoenix in der Titelrolle inszeniert, und das Ergebnis ist schlicht atemberaubend: "Joker" ist nicht Teil des filmischen DC-Universums, in dem zuletzt Helden wie Aquaman oder Wonder Woman auftraten, sondern tritt als eigenständiges Spin Off auf und kommt im Look der frühen 80e Jahre daher: Die Handlung dreht sich um den psychisch labilen Arthur Fleck (Phoenix), der sich als mietbarer Clown über Wasser hält, aber allerorts bloß verspottet wird; er lebt noch immer bei seiner Mutter, die ein dunkles Geheimnis zu haben scheint, auf das er erst im Laufe des Films stößt. Zuvor wird Arthur nicht nur von seiner Psychiaterin gemaßregelt, sondern es quält ihn auch sein Traum von einer Karriere als Stand-Up-Comedian und einem Besuch in der Late-Night-Show von Murray Franklin (Robert de Niro). Doch Arthur steckt schon länger in einer Abwärtsspirale aus Angst und (Selbst-)Hass, und als ihm ein Kollege einen Revolver überlässt, nehmen die Dinge ihren Lauf.
Der Joker: Wie er wurde, was er ist
Phillips erzählt seine düstere Geschichte um den wahren Ursprung des ikonografischen Bösewichts Joker in Form eines Genrefilms, der sich viel Zeit für die Psyche seines Protagonisten nimmt und mehr dessen Innenwelt erforscht als auf Effekte zu setzen: Action gibt es in "Joker" zwar auch, aber im Zentrum steht die Gefühlswelt eines werdenden Killers, der von Klein auf darauf getrimmt wurde, das Haus niemals ohne ein Lächeln zu verlassen - und das gerade in einem sozialen Umfeld, in dem es eigentlich gar nichts zu Lachen gibt. Phillips platziert seine Geschichte vom Unterschichten-Außenseiter vor dem Hintergrund beginnender sozialer Unruhen in diesem Gotham City, die Arthur zufälligerweise selbst auslöst, und in Neuwahl-Zeiten, in denen sich ein gewissen Thomas Wayne, Vater von Bruce Wayne (dem späteren Batman), zum Bürgermeister wählen lassen will.
"Der Film hat nichts Politisches", beteuert Phillips in Venedig. "Oder zumindest nichts absichtlich Politisches. Es kommt immer darauf an, durch welche Brille man ihn sieht. Jeder kann natürlich hineininterpretieren, was er möchte". Und Joaquin Phoenix sagt, die Verrücktheit seiner Figur sei nirgends in der Comicliteratur explizit erklärt. "Deshalb haben wir uns die Freiheit genommen, die Figur von Grund auf neu zu ergründen. Das war für mich ein sehr intensiver Prozess", so Phoenix, der von der Presse in Venedig mit frenetischem Jubel empfangen wurde. Er dürfte als Fixstarter ins Rennen um den Darsteller-Oscar 2020 gehen, und auch in anderen Belangen ist "Joker" ein heißer Oscar-Kandidat, weil er das Genre der Comicverfilmung völlig neu definiert und mit relativ einfachen Mitteln eine große (An-)Spannung erzeugt; "Joker" bringt dem Hollywood-Kino zum längst überfälligen Zeitpunkt jenen entscheidenden Input, den Frank Miller der (Batman-)Comicwelt mit seiner Graphic Novel "The Dark Knight Returns" (1986) brachte: Die Geschichte Batmans ließ sich nach Millers Novel in ein Davor und ein Danach teilen. Das Genre der Comicverfilmungen, seit vielen Jahren überfrachtet von seelenlosen Marvel-Aufgüssen, hat mit "Joker" nun auch den Film, der das Davor vom Danach trennt. Und Phoenix ist sein schillernder Star, bei dem das laute Gelächter eigentlich mehr nach einem erbärmlichen Schluchzen klingt. Was für ein Film!