An der Spitze einer schier endlosen langen Rakete eingesperrt zu sein auf wenigen Quadratmetern Liegefläche, zu Dritt, kaum eine Möglichkeit, im steifen Raumanzug irgendeine sinnliche Wahrnehmung zu haben außer die G-Kräfte, die einen in Form der Schubkraft förmlich ins All drücken und schütteln, kurz vor der Ohnmacht stehend, mit zugekniffenen Augen der Galaxis entgegen, das ist Raumfahrt, ja, und das ist Erlebniskino der anderen Art.
Nach "La La Land" kommt eine Rüttel- und Schüttel-Erfahrung
Denn was, Damien Chazelle in seinem ersten Film nach "La La Land" (für den er als jüngster Regisseur aller Zeiten einen Oscar erhielt) mit "First Man" dem Publikum auftischt, ist eine Rüttel- und Schüttel-Erfahrung ersten Ranges, das muss man sagen: Selten hat man im Kino so hautnah miterlebt, wie es sich in einer Raumkapsel anfühlen muss, so lebensecht und laut und unfassbar wackelig ist das.

Chazelle verabschiedet sich in seinem Weltraum-Drama rund um Neil Armstrong und seinen Weg zur Mondlandung im Jahr 1969 von allen Klischees, die das Sci-Fi-Genre sonst so an steriler Weltraum-Optik zu bieten hat: Hier gibt es keine Hochglanz-Uniformen und futuristische Schiebetüren, kein Lichtdesign wie in einem Flipper und keine ruhigen Aufnahmen von im All stoisch dahinsegelnden Raumschiffen, sondern hier gibt es von Menschenhand gefertigte Metallteile, rostig und fehleranfällig, staubig und abgenutzt, wie es gern auch mancher Ridley-Scott-Film vorführt. Aber der Unterschied ist halt: Die Story hier ist wahr, keine Sci-Fi. Und Raketen rosten eben.

Ryan Gosling spielt Neil Armstrong
Ryan Gosling spielt diesen Neil Armstrong, Chazelle reduziert die Motivation seines Helden, der ein Held im besten Sinne des US-amerikanischen Welt-Verständnisses ist, auf seinen Trauerschmerz, den er seit dem Verlust seiner kleinen Tochter an den Krebs mit sich herumschleppt und kein Ventil dafür zu finden scheint. Zusammenhänge, Kausalitäten herzustellen, das ist die Spezialität des Blockbuster-Kinos, das einfach erklärt, wie komplexe Zusammenhänge verlaufen.
So ist es auch hier: "First Man" hüllt das Klischee-Kino des US-Mainstream nur in ein wenig kunstvollere Bilder, sodass der Schwindel nicht sofort auffällt. Hinter Chazelles Optik mit Independent-Anstrich verbergen sich freilich die selben Mainstream-Mechanismen, die man sonst auch aus dem breitenwirksamen Kino kennt: Ein Held, der enorme Widerstände überwinden muss, ehe er sein Ziel erreicht, ist die Blaupause für so ziemlich jeden Actionfilm. Und auch für "First Man".
So begleitet Chazelle Armstrong bei dem jahrelangen, harten Training, beim Verarbeiten des Verlustes zahlreicher Raumfahrer-Kollegen, die Opfer der unausgereiften Raumfahrttechnik wurden, und bei einem Besuch im Weißen Haus, bei dem er die sauteure Raumfahrt in Zeiten des Vietnam-Krieges und der 1968er-Bewegung verteidigen muss; auf einen politischen Querschlag zur Trump-Regierung, zu deren Rüstungs- oder Weltraumambitionen gestattet sich Chazelle nicht, und auch sonst bleibt er nur in Ansätzen Kritiker dieser Nation, die so viel großes geboren hat, darunter eben auch die Mondmission. Daran kann Hollywood nicht rütteln.
Chazelles Talent liegt in einer ganz besonderen Feinfühligkeit, die Grenze zum Kitsch haarscharf zu unterschreiten; "First Man" ist - auch, weil im Weltall Tränen vergossen werden, die der ganze damalige Medienrummel auf der Erde niemals mitkriegt - ein Paradebeispiel für die Konstruktion eines Heldenmythos, auf dem Amerika bis heute seinen Anspruch auf die Weltführerschaft aufbaut. Dafür braucht es Helden wie Neil Armstrong, und Venedig als Startrampe für diese Rakete sollte "First Man" auch gefahrlos bis zum Oscar katapultieren. Prämiert werden dann Mythen und Legenden, Werte und Gesinnungen, alles filmisch ansprechend und fesselnd gemacht. Aber kann ein Film wie dieser heute Werte feiern, die längst nicht mehr aktuell sind? Das ist ja das Schlimme: Sie sind es wieder, seit Trump.