"Eigentlich", sagt Mike Leigh, "könnte ich für den Rest meines Lebens im Bett liegen bleiben und nichts mehr tun. War es das alles wert, was ich gedreht habe? Ich weiß es nicht, das müssen Sie beurteilen". Nachsatz: "Aber ich bleibe nicht im Bett und ich drehe weiter, denn wenn es nur einem da draußen gefallen hat, ja, dann war es diese Mühen wert".

In der Arthaus-Filmwelt eilt ihm sein guter Ruf voraus

Mike Leigh ist 75, hat eine unglaubliche Reputation in der Arthaus-Filmwelt, drehte Dramen mit sozialkritischem, Demokratie einforderndem, gesellschaftspolitischem Hintergrund, gilt als einer der wichtigsten Vertreter des britischen Kinos und ist auch im Alter nie müde geworden, für seine Ideale einzustehen. Wie zum Beispiel gut ersichtlich in seiner jüngsten Arbeit, "Peterloo". Ein historischer Stoff, den Leigh zum Filmfestival nach Venedig mitgebracht hat, und der hier im Rennen um den Goldenen Löwen antritt.
In "Peterloo" betrachtet Leigh in (langen) 154 Minuten ein Massaker, von dem man international wenig weiß, aber auch in Großbritannien selbst kaum. Es geht um eine Protestbewegung im Manchester des frühen 19.

Jahrhunderts, die sich um mehr demokratischen Einfluss bemühte, die die damals herrschende absolute Monarchie noch nicht zuließ. Der mehr und mehr anschwellende Protest, den Leigh hier in aller Ausführlichkeit schildert, wurde von den Militärs schließlich blutig niedergeschlagen, beim Peterloo-Massaker sterben im August 1819 15 Menschen, 400 werden verletzt. Lange Zeit wurde dieses Massaker in Großbritannien totgeschwiegen, "auch in der Schule. Ich erinnere mich an meine Schulzeit, da hörten wir nichts davon", so Mike Leigh. Sein Film "Peterloo" soll nun dafür sorgen, dass Licht ins Dunkel der ersten Demokratiebewegungen des Landes gebracht wird.

"Es geht um ganz gewöhnliche Menschen"

Abgesehen davon, dass Leigh es erstaunlich findet, "dass es in Großbritannien noch immer eine Form der Monarchie gibt, worüber man sich ja nur wundern kann", ist "Peterloo" einmal mehr gefüllt mit den Lebensthemen dieses Regisseurs, dessen Maxime es immer war, vom einfachen, kleinen Mann zu erzählen und dessen Nöte zu schildern. "Das hat mich immer am meisten interessiert", so Leigh im Interview mit der "Wiener Zeitung" beim Filmfestival von Venedig. "Es geht um ganz gewöhnliche Menschen, deren Geschichten die Welt erfahren soll".

Damit Mike Leigh derartige Filme auch weiterhin drehen kann (gerade historische Stoffe kosten viel Geld), hat er es erstmalig bei neuen, potenten Geldgebern versucht und ist bei Amazon Studios auf großes Interesse gestoßen. Der Filmproduzenten-Ableger des Online-Händlers Amazon hat zuletzt auch die neuen Arbeiten von Größen wie Woody Allen oder Jim Jarmusch finanziert. "Ich kann diesem neuen Studio wirklich nur das allergrößte Lob aussprechen", sagt Leigh.

"Man hat mir keinerlei Vorgaben gemacht, wie ich den Stoff umsetzen soll, und das beim größten Filmbudget, mit dem ich jemals gearbeitet habe". Leigh weiter: "Bei Amazon Studios arbeiten wirklich viele fähige Leute, die sich am Independent-Filmsektor auskennen". Und was ist vom Mutterkonzern Amazon selbst zu halten? "Nun ja, dazu kann ich mich nicht äußern", so Leigh. "Nur soviel: Ich nehme lieber das Geld der Kapitalisten, um einen wichtigen Film über Demokratie zu drehen, als gar keinen Film drehen zu können".