Doris Uhlich denkt an die Zukunft und versucht, sichtbar zu machen, wie der Körper auf Biotechnologie, computergesteuerte Maschinen und Digitalisierung reagieren wird. Dazu sperrt sie sich selbst als Versuchsobjekt in einen Tank. "Tank" nennt sie auch ihr Tanz im Reagenzglas, der im Rahmen des ImPulsTanz Festivals im Odeon zu sehen war.

Ein opaker Glaszylinder, erfüllt und umhüllt von grauen Nebelschwaden. Eine Hand klebt an der opaken Wand, noch eine, schwarze Haare peitschen die Schwaden, elektronische Musik hämmert. Allmählich lichtet sich der Schleier, im durchsichtigen Tank bewegt sich ein nackter Frauenkörper. Der Raum ist eingeschränkt, der isolierte Körper stößt immer wieder an die Wände, die Brüste werden ans Glas gepresst, das Fleisch zittert, die Extremitäten scheinen nur locker am Rumpf zu hängen. In der Froschstellung mit eingezogenem Kopf erscheint die Rückenansicht des Torsos nicht mehr menschlich.

- © Katja Ilne
© Katja Ilne

 Körperteile verschwinden

Die Bewegungen sind eckig und abrupt, als würden sie von außen gesteuert. Später verschwinden Körperteile durch Licht- und Schatteneffekte (Sergio Pessanha): Ein dünner Knochen baumelt an einem Oberschenkel ohne Körper, ein Arm bewegt sich ohne Schulter, ein sich im Rhythmus hebend und senkendes Zwerchfell scheint von alleine zu atmen. Immer mehr wird die Performerin Doris Uhlich zu einem fremden Wesen, einem Alien, das im Glaszylinder zu Forschungszwecken eingesperrt ist.

Das genau will die Choreografin und Tänzerin auch zeigen. Sie will wissen, wie es sich anfühlt, wenn der menschliche Körper sich verändert, mit Ersatzteilen funktioniert, vielleicht selbst zur Maschine wird. Gemeinsam mit dem Electronic Musiker Boris Kopeinig hat Uhlich ihr Solo entworfen und auch die Texte geschrieben, die nach einer entspannten Ruhepause in der Stille, überraschend gesprochen und (fast) gesungen werden. Dabei sinniert sie über den Körper als Maschine: Car-machine, Tank-machine, Muscle-machine, Love-Machine, vielleicht auch Brain-machine. Angst oder Hoffnung? Doris Uhlich wertet nicht, sie zeigt. Den gläsernen Zylinder hat das Berliner Kollektiv proper space (Angela Tibera, Konstanze Grotkopp, Juliette Colas) gebaut.

Mutter  als Darstellerin

Seit langem hat sich die experimentierfreudige Doris Uhlich mit der Zukunft beschäftigt. Schon 2011 hat sie "Uhlich" konzipiert und ihre Mutter, Gertrud Uhlich, als Darstellerin eingeladen. "ich wollte wissen, wie ich einmal aussehen, wie ich einmal sein werde", hat sie als Erklärung gegeben. 2016 hat sie sich als "Seismic Dancer" von einem Rüttelbrett durchschütteln lassen. Danach ist gemeinsam mit Michael Turinsky, der sich im Rollstuhl fortbewegt, "Ravemachine" entstanden. Die energetische Kopplung von Mensch und Maschine hat sie in "Every Body Electric" gemeinsam mit physisch eingeschränkten Menschen mit physischen Behinderung als Gruppenstück umgesetzt. Die Maschine als körperliche Erweiterung kann auch ein Glücksbringer sein.

In "Tank" wird der Mensch selbst zur Maschine. Nicht ganz, denn wenn alle Positionen und Schattierungen ausprobiert sind, kriecht das fremde Wesen aus dem Tank, wird auf Zehenspitzen tanzend zu Doris Uhlich, die nicht nur mit der Zukunft spielt, sondern auch eine heimliche Sehnsucht nach dem Ballettschuh in sich spürt (siehe "Spitze", das Erfolgsstück mit der unnachahmlichen ehemaligen Solotänzerin des Staatsopernballetts Susanne Kirnbauer, zehn Jahre danach für die Ausstellung "Die Spitze tanzt" im Theatermuseum neu choreografiert.) Sie verwandelt sich also in eine Tänzerin, um zu zeigen, dass ihr Körper keineswegs eine Maschine ist, nur seinem Gedächtnis und den Befehlen des Gehirns gehorcht. Dann verschwindet der Körper wieder in der Röhre. Doris’ Mutter platzt in die Versuchsanordnung und ist verwirrt, zündet sich eine Zigarette an, umrundet den Glaskobel, weiß nicht, was die Tochter da drinnen vorhat. Doris singt es der Mama vor: "The Future, the new Future" ist zu verstehen. Gertrud Uhlich dämpft ihre Zigarette aus und geht ab.

Das wäre ein schöner Schluss gewesen, doch die Performerin kommt nochmal auf die Bühne, muss noch einen Nachtrag anhängen und auch noch ein PS. Schade! Der Auftritt der Mutter ist als erklärende Pointe zu verstehen. Die hat sich die Tänzerin Uhlich selbst kaputt gemacht, und die Choreografin Uhlich konnte sie nicht bremsen. Vielleicht war deshalb der Applaus kurz und bündig, auch wenn das im ImPulsTanz Festival übliche jubelnde Geheule nicht gefehlt hat.