Der Titel, auf Deutsch "Ein Weg des Körpers", ist Programm. Die brasilianische Choreografin Morena Nascimento, von 2008 bis 2010 festes Mitglied im Tanztheater Wuppertal, hat mit der vitalen Compagnie der Stadt São Paulo einen Tanzabend zu Ehren des Sängers und Komponisten Caetano Veloso erarbeitet. "Cantanear" nennt sie das Universum des bedeutenden brasilianischen Musikers, der gemeinsam mit Gilberto Gil und anderen Künstlern die Música Popular Brasileira revolutioniert und den "Tropicálismo" nicht nur als Musikstil, sondern auch als kulturelle Bewegung und Haltung definiert hat. Vor einem halben Jahrhundert ist sein Album "Tropicália" erschienen, und das war für Nascimento ein Grund, mit dem 50-jährigen Jubiläum der Compagnie von São Paulo 2018 zugleich den verehrten Musiker zu feiern.

Nascimento und der musikalische Leiter Cacá Machado lassen jedoch weder die Tänzerinnen und Tänzer noch das Publikum im Tropicálismo schwelgen. Die Kompositionen wurden verändert, mit Werken anderer Komponisten, gesampelt und gekürzt. Veloso singt seine Lieder, doch wer in Wien versteht schon brasilianisches Portugiesisch! Die Choreografin übersetzt des Sängers lebhafte Gebärdensprache in Tanz und zeigt in (mitunter etwas zu) deutlichen Bildern kleine Geschichten und große Gefühle.

Heiteres Chaos

30 Tänzerinnen und Tänzer sind auf der Bühne des Burgtheaters, bewegen sich synchron zur Musik als Gruppe, zeigen Solos und Duette und wechseln die bunten Kostüme im Flug. Isadora Gallas hat die schwingenden Röcke, Blousons und Tücher aus in Neonfarben leuchtendem Organza entworfen und sie Männern wie Frauen übergezogen. Die Windmaschine hat viel zu tun in dieser Stunde und manchmal meint man die Tänzer mit gebauschten Ärmeln wie Schmetterlinge fliegen zu sehen. Im ausgeklügelten Lichtdesign von Aline Santini wechselt die Stimmung von hell zu dunkel, die Gruppe ist nur noch als Schatten sichtbar, während sich an der Bühnenrampe ein Liebesdrama abspielt oder eine zauberhafte Ballerina die Schleier wehen lässt. Ist der Beginn noch ein heiteres Chaos, bis sich die Compagnie in einer langen Linie formt, zu der sie auch später immer findet, als Mauer parallel zur Rampe stehend, als endlose Schlange die Bühne im Laufschritt querend, so wird der Tanzkörper bald zur politischen Botschaft, berichtet von Aggression und Folter, von Diskriminierung und Vergewaltigung. Sehnsucht nach Frieden und Freiheit wird wach, wenn weiße Federn sanft zu Boden segeln oder die Tänzer Pfauenfedern wie Friedensfahnen hochhalten. Im Finale wandern die Verletzten und Geschundenen dem Licht entgegen, ein Einzelner bleibt zurück, tanzt sich in wirbelnden Drehungen Wut und Trauer aus dem Leib. Ein so aufwühlendes wie poetisches Spektakel bleibt im Gedächtnis.

Nach der frenetisch beklatschten Vorstellung erhielt Ismael Ivo, der 1984 Impulstanz mitbegründet und seitdem als Tänzer, Choreograf und Workshop-Leiter das Festival wesentlich geprägt hat, das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst.