Rekonstruktion der Todesfahrt

Der Fall wurde von den Ermittlungsbehörden und den Medien (darunter vor allem von der "Süddeutsche Zeitung und vom "Spiegel") eingehend rekonstruiert: Die Todesfahrt beginnt am frühen Morgen des 26. August 2015 gegen 4:50 Uhr in einem Waldstück nahe Morahalom an der ungarischen-serbischen Grenze, rund 20 Kilometer westlich von Szeged.

Dort halten sich die Geflüchteten versteckt. Ein Kühllaster, der früher zum Fuhrpark des slowakischen Geflügelproduzenten Hyza gehörte und den die Schlepper nur ein paar Tage davor um knapp 20.000 Euro im Autohof Dejavu Crystal bei Lajosmizse (unweit von Kecskemet, wo ihnen später der Prozess gemacht werden wird) gekauft haben, fährt heran und wartet bei laufendem Motor. 59 Männer, acht Frauen und vier Kinder - das jüngste ist 10 Monate alt - werden in den 14,26 Quadratmeter großen Laderaum des Kühllasters verfrachtet. Syrer, Iraker, Iraner und Afghanen. Jedem bleibt nicht viel mehr als die Fläche einer Zeitungsdoppelseite. Die mit Gummidichtungen versehenen Türen schließen luftdicht, es gibt keine Fenster, die Tür lässt sich nur von außen öffnen. Am Steuer des weißen Volvo-Kühllasters sitzt der Bulgare Ivaylo S.. Nachdem er die menschliche Fracht aufgenommen hat, nimmt er eine Route vorbei an Budapest weiter in nordwestlicher Richtung.

Dabei fährt immer eines der Begleitfahrzeuge der Schlepper in einigem Abstand vor dem Lastwagen her, um nach Polizeikontrollen Ausschau zu halten. Vorneweg fahren der BMW und der Mercedes, dann der Kühllaster, dahinter der Audi. Die Landsmänner von Ivaylo S., Todorov B., 39, und Metodi G., 30, sowie Samsoor L., der Afghane, sitzen in den Begleitfahrzeugen.

In den Ermittlungsakten der burgenländischen Polizei wird später zu lesen sein: "Zwecks Durchführung der Fahrt wurde der bulgarische Staatsbürger S. Ivaylo als Lenker des Lkw Kühltransporters weiß, Type FL6L, mit ung. Zollkennzeichen, Z-12198/15 mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen Entgelt, engagiert."

In der Anklageschrift der ungarischen Staatsanwaltschaft wird sich später auch der Mitschnitt einer Telefonüberwachung der ungarischen Polizeieinheit NNI (Nemzeti Nyomozó Iroda, die Nationalpolizei, die bei schweren Verbrechen ermittelt) finden, die im Juni 2017 von den deutschen Sendern NDR, WDR und der "Süddeutschen Zeitung" - kurz vor dem Beginn des Prozesses gegen die Schlepperbande in Kecskemet - veröffentlicht wird. Die Behörden hatten die Schlepper offenbar schon längere Zeit im Visier.

Die Mitschnitte sind Dokumente des Grauens, die offenbaren, dass die Geflüchteten im Kühl-Lkw für die Schlepper nichts weiter als Schmuggelgut sind. Schon nach 35 Minuten ist auf dem Abhörmitschnitt zu hören, wie sich drei der Schlepper darüber unterhalten, dass die Flüchtlinge im Kühl-Lkw laut klopfen. Zu diesem Zeitpunkt müssen die ersten Menschen im Laderaum schon in Todesangst gewesen sein. Kurz nach sechs Uhr, etwa 70 Minuten nach der Abfahrt unterhalten die Schlepper sich darüber, dass die Flüchtlinge immer lauter, immer panischer gegen die Wand des Frachtraums klopfen.