Der Nahost-Konflikt ist herausragendes Thema der 66. UN-Vollversammlung. Während die Palästinenser in der Anerkennung durch die Staatengemeinschaft einen längst überfälligen Schritt sehen, argumentiert Israel, die Internationalisierung des Konflikts stelle eine gefährliche Abkehr vom Prinzip gegenseitiger Verhandlungen dar. Argumente für und gegen das Vorgehen der Palästinenser:
Pro: Ein überfälliger Schritt
Die Befürworter einer Aufnahme eines Palästinenser-Staates als 194. Mitglied der Vereinten Nationen sehen diesen Schritt als längst überfällig an. 20 Jahre Friedensverhandlungen hätten sich als mehr oder weniger fruchtlos erwiesen. Deshalb sei es an der Zeit, das Thema zu "internationalisieren", argumentiert Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas. Schon 1947 habe die Generalversammlung die Teilung des bis dahin britisch verwalteten Palästinas empfohlen, argumentieren die Palästinenser. Sie berufen sich auch darauf, dass eine Zwei-Staaten-Lösung im Nahen Osten längst Kern aller Friedens- und Vermittlungsbemühungen ist.
Ihr Bestreben, dies durch den Sicherheitsrat quasi adeln zu lassen, sehen sie als konsequente Fortsetzung der Zwei-Staaten-Lösung. Unterstützt sehen sich die Palästinenser auch dadurch, dass wichtige internationale Organisationen wie Weltbank und Internationaler Währungsfonds ihnen bereits massive Fortschritte beim Aufbau staatlicher Institutionen bis hin zur "Staatsreife" attestiert haben. Ein 2009 vom allseits anerkannten Ministerpräsidenten Salam Fajjad auf den Weg gebrachtes "State-Building-Programm" soll in diesem Jahr abgeschlossen werden. Das Lob der internationalen Gemeinschaft für die Fortschritte beim Aufbau staatlicher Institutionen sieht Fajjad bereits als "de facto Anerkennung".
Kernargument der Palästinenser ist, dass der Friedensprozess über den Verhandlungsweg nach zwei überwiegend erfolglosen Jahrzehnten "klinisch tot" sei und es neuer Wege und Methoden bedürfe. Sie versichern, dass sie weiter an Verhandlungen mit Israel festhalten wollen. International stößt das Bestreben der Palästinenser auf viel Sympathie: Schon 122 Länder haben einen Palästinenser-Staat anerkannt. Bei einer Abstimmung in der Generalversammlung können sich die Palästinenser weiterer Unterstützung sicher sein.
Kontra: Zuerst Verhandlungen
Kritiker der palästinensischen Initiative, allen voran die israelische Regierung, sehen im Gang zur UN einen Versuch, direkte Friedensverhandlungen mit Israel zu umgehen. Die Palästinenser versuchten, durch eine Internationalisierung des Konflikts und des Entfachens von Druck aus der Staatengemeinschaft, Israel ihren Willen zu diktieren und eigenen Verpflichtungen zu entgehen. Nur eine zwischen beiden Seiten ausgehandelte Lösung der einzelnen Streitpunkte könne aber zu einem Friedensvertrag führen. Dies entspreche auch dem Prinzip aller bisher geführten Friedensgespräche.
Alle UN-Resolutionen und auch die bisher erreichten Zwischenabkommen und Vereinbarungen - vom Oslo-Abkommen bis hin zum Friedensfahrplan "Road map" - basierten auf dem Prinzip, Fortschritte in direkten Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern zu erreichen, argumentieren die Gegner. Der Gang zur UN stelle deshalb einen schwerwiegenden Bruch dieses wichtigsten Prinzips des Friedensprozesses dar.
Die Aussicht auf einen eigenen Staat über die UN habe zudem bereits in den vergangenen Monaten zu einem Stillstand der Friedensverhandlungen geführt. "Ein einseitiges Vorgehen untergräbt alle international akzeptierten Rahmenvereinbarungen für den Frieden, einschließlich mehrerer UN-Resolutionen, und gefährdet damit wahren Frieden", heißt es im israelischen Außenministerium. Einige Vertreter dieser Linie gehen so weit, die bisherigen Friedensabkommen als nichtig zu betrachten, sollten die Palästinenser an der "einseitigen Anerkennung" festhalten.
Hinter dieser juristischen Argumentation steht die konkrete Furcht vor Verschlechterungen der israelischen Position bei zukünftigen Verhandlungen. Die Palästinenser könnten etwa weiter ein klares Bekenntnis zum Existenzrecht Israels als jüdischer Staat vermeiden - eine Kernforderung Israels.
Ein wichtiges Argument der Gegner einer palästinensischen Eigenstaatlichkeit zum jetzigen Zeitpunkt ist deren Zerrissenheit: Im Gaza-Streifen herrscht die radikal-islamische Hamas, die sich weigert, Israel das Recht auf Existenz zuzubilligen. Eine Anerkennung würde somit auch indirekt eine Anerkennung eines Todfeindes bedeuten, eine unzumutbare Forderung. Zudem wird befürchtet, dass die in den vergangenen Monaten hochgeschraubten Erwartungen in der palästinensischen Bevölkerung in Frustration und Gewalt umschlagen könnten, wenn deutlich werde, dass sich ihre Lebensrealität ungeachtet einer diplomatischen Aufwertung nicht ändert.