X ruft Y an. Steht Y auf einer Liste von verdächtigen Nummern – wie etwa jener Personen, die terroristischen Vereinigungen zugerechnet werden – beginnt automatisch die Überprüfung von Y. Damit setzt das Überprüfungsverfahren ein, an deren Ende die Überwachung jeglicher Kommunikation des Betroffenen stehen kann, erklärt Alexander Klimburg vom "Österreichischen Institut für Internationale Politik" den jüngsten Vorratsdaten-Skandal in den USA.
Wie die britische Zeitung "Guardian" am Donnerstag berichtete, soll der Telefonanbieter Verizon seit April detaillierte Informationen über Telefonate an den größten US-Geheimdienst, die National Security Agency (NSA) übermittelt haben – aufgrund einer gerichtlichen Anordnung, die noch bis zum 19. Juli gültig ist. Betroffen sind alle Telefonate innerhalb der USA als auch zwischen USA und dem Ausland. Verizon gibt dem Zeitungsbericht zufolge die Rufnummern beider Anschlüsse, ortsbezogene Daten sowie Dauer und Uhrzeit der Anrufe an die NSA weiter, nicht aber Gesprächsinhalte oder Namen. Als Beleg veröffentlichte der "Guardian" die mutmaßliche Kopie eines streng geheimen Gerichtsbeschlusses, über dessen Herkunft es keine Angabe macht.
Business-Kunden betroffen
Die "New York Times" betont, dass die Anordnung nur die Geschäftskunden des Telefonanbieters betreffe und noch unklar sei, ob die Daten privater Festnetz- und Handykunden weitergegeben wurden. Auch bleibt weiterhin offen, ob außer bei Verizon auch die Daten anderer Telekom-Anbieter gesammelt werden.
"Die NSA kann nicht einfach so US-Bürger anzapfen, sondern darf nur gegen Ausländer spionieren", sagt Klimburg im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Um zu wissen, wer Ausländer sei, müsse man eben alle Bürger überprüfen, lautet das Argument der Geheimdienste. Mit den Anruf-Daten können die Behörden mittlerweile fast alle relevanten Informationen zur Identität der Gesprächspartner herausfinden – mit Hilfe von Algorithmen, die aus Verhalten und Verbindungen Profile erstellen können, sagen Experten.
Das Weiße Haus bestätigte die Weitergabe der Daten an die NSA am Donnerstag. Ein Mitarbeiter des Weißen Hauses erklärte, die Informationen seien wichtig, um die USA vor Terroranschlägen zu schützen.
Lange Kontroverse
Das gezielte Sammeln von Telefondaten durch die NSA ist schon seit vielen Jahren ein kontroverses Thema. Die jüngsten Meldungen werfen allerdings erneut ein Schlaglicht auf den Umgang der US-Regierung mit der Privatsphäre der Bürger und deren Recht auf freie Meinungsäußerung. Präsident Barack Obama steht bereits in der Kritik, weil sich seine Regierung sich Zugang zu Telefon-Daten von Journalisten der Nachrichtenagentur Associated Press verschaffte. Die gesetzlichen Voraussetzungen für ein möglichst breites Betätigungsfeld der Geheimdienste ebnete Präsident George W. Bush 2001 mit dem Patriot Act, einer Reaktion auf die Anschläge vom 11. September. Dieser erlaubt theoretisch eine solche massive Datensammlung – und rechtfertigt auch den aktuellen Skandal. Die Datenübermittlung von Verizon an die NSA wird durch einen Abschnitt des Gesetzes gerechtfertigt.
In Österreich gilt die sechsmonatige Vorratsdatenspeicherung. Diese betrifft sogenannte Transaktionsdaten – also keine Gesprächsinhalte oder Namen der Anschlussinhaber – die auf Gerichtsbeschluss herausgegeben werden können. Die Polizei kann die Auswertung der Informationen verlangen wenn "Gefahr im Verzug ist", wie Arge Daten-Obmann Hans Zeger erklärt. "Die Behörden dürfen sich aber grundsätzlich nicht in die Telefonate einhacken".
"Verletzung der Grundrechte"
Mehrere amerikanische Bürgerrechtsinitiativen haben verlangen, die Kriterien zu veröffentlichen, nach denen Ermittler die Datenherausgabe beantragen können. "Es geht aus der Sicht des Datenschutzes einfach nicht, dass die Daten aller gespeichert werden, weil irgendjemand etwas Unrechtes tun könnte", sagt Andre Meister von "Netzpolitik.org", einer deutschen Plattform für digitale Bürgerrechte. "Es ist eine Verletzung der Grundrechte".