Washington/Brüssel. EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso hat Berichte über US-Spionageangriffe auf europäische Institutionen als "sehr beunruhigend" bezeichnet. "Wir wollen Transparenz und Klarheit von unseren Alliierten und das erwarten wir auch von den amerikanischen Partnern", sagte Barroso am Dienstag im Europaparlament in Straßburg. Der Präsident des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, zeigte sich "wirklich besorgt" bezüglich der Berichte.

Beide Spitzenpolitiker versicherten, dass die EU umgehend bei den USA um eine vollständige Aufklärung der Vorwürfe ersucht habe. Barroso sagte, dass sich EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton in dieser Sache auch persönlich mit US-Außenminister John Kerry gesprochen habe. "Wenn sich diese Nachrichten als richtig erweisen sollten, wäre das sehr beunruhigend und schwerwiegend", sagte Barroso.

Europaparlament plant Resolution

Das Europaparlament wollte am Mittwoch in einer Plenardebatte über die Affäre rund um den US-Geheimdienst NSA und seine Abhöraktivitäten in Europa beraten. Für Donnerstag war die Verabschiedung einer Resolution geplant. EU-Abgeordnete hatten sich bereits am Wochenende empört über die Berichte zu US-Spionage gezeigt.

Parlamentspräsident Martin Schulz sprach am Montagnachmittag bei der Eröffnung der Plenarsitzung in Straßburg von einem "sehr schweren Schlag für die Beziehungen zwischen der EU und den USA". Der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok, sagte der APA, dass diese Angelegenheit auch die geplanten Freihandelsgespräche mit den USA belaste. "Natürlich sind die Verhandlungen erschwert, weil das Vertrauensverhältnis nicht da ist", schloss er ein Einfrieren der Gespräche explizit nicht aus.

Freihandelsabkommen in Frage gestellt

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn macht die Gespräche zwischen der EU und den USA über ein Freihandelsabkommen davon abhängig, dass die Amerikaner ein Ende ihrer Ausspähungen garantieren. Ein Abkommen sei unter den aktuellen Bedingungen "einfach nicht möglich", sagte Asselborn am Dienstag im Deutschlandfunk.

Die EU müsse daher jetzt "klare Kante zeigen" und Garantien auf oberster Ebene bekommen, dass die Ausspähungen gestoppt seien oder gestoppt würden. Diese Garantien müssten zu dem für kommende Woche geplanten Beginn der Gespräche über das Freihandelsabkommen vorliegen. Zudem müssten die USA offen aufklären. "Die Antwort darf nicht auf den diplomatischen Kanälen nur kommen. Hier muss im offenen Kanal der Weltöffentlichkeit geredet werden." Die vielbeschworenen unbegrenzten Möglichkeiten Amerikas dürften nicht in einen "digitalen Kalten Krieg" führen.

Totengräber der Demokratie
Asselborn kritisierte die US-Bespitzelungen scharf. "Wenn jedes Land das machen kann, was die USA sich erlauben, dann brauchen wir keine Diplomatie mehr, denn dann haben wir keine Diplomatie mehr." US-Präsident Barack Obama sei möglicherweise nicht in alle Details der Arbeit der US-Geheimdienste eingeweiht, wisse aber sicher, dass sie nicht philanthropisch unterwegs seien. Er müsse zudem einsehen, "dass diese Dienste außer Kontrolle geraten sind, dass hier Totengräber der demokratischen Spielregeln am Werke sind".