Luxemburg (fez). Netzsperren, die wegen Copyright-Verletzungen erfolgen, sind grundsätzlich legal. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag in einem Urteil verkündet. Das Urteil gilt als Sieg der Rechteinhaber, die darin ein "positives Signal" sehen. Die Vereinigung der österreichischen Internetprovider, die ISPA, rechnet hingegen mit Einschränkungen der Meinungsfreiheit.

Im Kern besagt das EuGH-Urteil, dass nationale Gerichte Provider dazu verpflichten können, Kunden den Zugriff auf Internetseiten, die urheberrechtsverletzende Inhalte anbieten, durch IP- und DNS-Sperren zu erschweren. Der Provider sei in diesem Szenario als Vermittler der Rechtsverletzung anzusehen.

Twitter-Sperre theoretisch nun auch in Österreich möglich
In einer Aussendung erinnert die ISPA daran, dass Recep Tayyip Erdogan weltweit für einen Aufschrei der Empörung sorgte, als er letzte Woche Twitter sperren ließ. Eine derartige Sperre wäre aber laut ISPA nach dem EuGH-Urteil theoretisch nun auch in Österreich möglich. "An sich ist auch Twitter nur eine Website und es braucht im Prinzip nur jemanden, der findet, dass dieser Nachrichtendienst dazu genutzt wird, urheberrechtlich geschütztes Material zu verteilen", skizziert Maximilian Schubert, Generalsekretär der ISPA, das Worst-Case-Szenario.

Hintergrund des EuGH-Urteils ist ein Gerichtsverfahren in Österreich, in dem ein Filmproduktionsunternehmen einen Provider darauf verklagt hatte, den Zugang zum illegalen Download- und Streamingportal kino.to für seine Kundinnen und Kunden zu sperren. Das österreichische Gericht hatte dem EuGH deshalb die Frage vorlegt, ob Netzsperren in diesem Fall mit dem Europarecht vereinbar seien. In seinem Urteil folgte der EuGH weitgehend den Schlussanträgen des Generalanwalts: Von einem Internetanbieter können Sperrmaßnahmen gegen eine Website verlangt werden.

Blockade bestimmter IP-Adressen

Technisch erfolgt die Sperrung einzelner Internetseiten über die Blockade bestimmter IP-Adressen oder Einträge in DNS-Servern. In beiden Fällen ist die eigentliche Seite weiterhin vorhanden und über Umwege immer noch aufrufbar. Das illegale Streaming und Herunterladen urheberrechtlich geschützter Inhalte würde auf diese Weise allenfalls für technisch weniger versierte Nutzerinnen und Nutzer erschwert, nicht jedoch unterbunden, kritisiert zum Beispiel auch der deutsche "Verein Digitale Gesellschaft".

Wenn ein Gericht rechtskräftig feststellt, dass eine Internetseite urheberrechtsverletzende Inhalte anbietet, so muss diese Seite vollständig aus dem Netz entfernt und nicht lediglich der Zugang zu ihr erschwert werden, fordert der Verein. Gerade der vom EuGH aktuell  entschiedene Fall zeige jedoch, dass erst durch die Abschaltung von kino.to die rechtswidrige Verbreitung der Filme wirksam unterbunden wurde, erklärt Alexander Sander, Geschäftsführer des Vereins Digitale Gesellschaft.

Nebenwirkungen einer Sperrinfrastruktur
Die ISPA warnt vor einer Sperrinfrastruktur: Wie Beispiele aus anderen EU-Ländern zeigten, würde eine Sperrinfrastruktur auch genutzt, wenn sie einmal vorhanden sei. "Man kann nicht die Büchse der Pandora öffnen und glauben, dass man die Auswirkungen maßvoll und gezielt steuern kann. Die Einführung von Netzsperren, zu welchem Zweck auch immer, wird zu zahlreichen weiteren Begehrlichkeiten und Maßnahmen in dieser Richtung führen", warnt Schubert, der auch auf einen umstrittenen Passus im Entwurf der Europäischen Kommission zum Telekom-Binnenmarkt hinweist. In diesem ist vorgesehen, dass zur Durchsetzung von Gerichtsurteilen und Gesetzen sogenannte Netzwerkmanagement-Maßnahmen - also Netzfilter bzw. -sperren-  eingesetzt werden dürfen.

Copyright-Interessen über Meinungsfreiheit
Darüber hinaus stellt das Urteil aus Sicht der ISPA die Interessen einer kleinen Gruppe, nämlich jener der Kunstschaffenden, über die Interessen der Allgemeinheit und könnte dadurch fatale Auswirkungen auf das Internet und speziell auf die Meinungsfreiheit haben. Dass diese kleine Gruppe auch andere Unterstützungen von der Allgemeinheit fordere - etwa eine Festplattenabgabe oder Haushaltsabgabe - anstatt sich darum zu bemühen, dass ihre Werke so vermarktet würden, wie es die Konsumentinnen und Konsumenten im 21. Jahrhundert erwarteten, sorgt bei Schubert für "Unverständnis".

Ähnlich argumentiert auch Alexander Sander: "Was dem Schutz des Urheberrechts dienen soll, fördert tatsächlich allenfalls die veralteten Geschäftsmodelle der Content-Industrie und die Attraktivität illegaler Angebote. Seiten wie kino.to waren und sind bei Nutzerinnen und Nutzern nur deshalb so beliebt, weil es keine vergleichbaren legalen Optionen gibt. Abhelfen wird hier nur mehr Innovation, nicht mehr Repression seitens der Rechteinhaber. "

"Endlich wird die Internetwirtschaft in die Pflicht genommen"

Auch der Fachverband Telekom/Rundfunk in der Wirtschaftskammer zeigt sich skeptisch. "Maßnahmen in einigen Ländern außerhalb der EU zeigen, dass hier Einiges zu befürchten ist", so Fachverbandsobmann Günther Singer. Wo Singer einen "traurigen Tag für eine offene und pluralistische Informationsgesellschaft" sieht, feiern die Verwertungsgesellschaften eine "Entscheidung für die Rechtsstaatlichkeit".

Webseiten wie kino.to, die mehr als 130.000 Filme unlizenziert zur Verfügung gestellt hätten, verletzten demnach systematisch das Urheberrecht, die Eigentumsfreiheit sowie die Jugend-, Medien-, Steuer- und E-Commerce-Gesetze. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe vor einem Jahr schon geurteilt, dass Spielfilme nicht in den Bereich der Informationsfreiheit fallen.

Netzsperren gingen zudem nur gegen Anbieter illegaler Inhalte vor, nicht gegen End-User, somit bleibe dessen Privatsphäre geschützt, so der Verein für Anti-Piraterie (VAP). Datenschutzrechtlich seien sie zudem unproblematisch. Oscar-Preisträger Veit Heiduschka, der als Kläger in dem aktuellen Fall auftrat, freut sich über das "positive Signal". Ohne das Vertrauen der Filmemacher in den Schutz im Netz würden "legale Geschäftsmodelle untergraben".

"Klare Absage an Internetwirtschaft"
"Endlich hat der EuGH der Argumentation der österreichischen Internetwirtschaft, wonach sie niemals zu derartigen Maßnahmen verpflichtet sein kann, eine klare Absage erteilt", so Werner Müller, Geschäftsführer des VAP. "Österreich kann damit den vielen anderen europäischen Ländern folgen, in denen Gerichte bereits nach sorgfältiger Abwägung der Grundrechte und Prüfung der Verhältnismäßigkeit Zugangssperren angeordnet haben." Insgesamt betreffe dies europaweit bislang rund 100 strukturell rechtsverletzende Portale.

Der VAP will künftig "die Internet Provider mit der gebotenen Deutlichkeit auf ihre Verantwortung in der Bekämpfung gewerblicher Internetpiraterie" hinweisen.