Berlin. In der deutschen Bundesregierung deutet sich ein Umdenken im Umgang mit großen Datenmengen im IT-Zeitalter an. Stand in den vergangenen Monaten vor dem Hintergrund der NSA-Abhöraffäre vor allem der Datenschutz im Vordergrund, so mahnt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nun, dass man bei allem Streben nach Sicherheit die Chancen bei der Vernetzung großer Datenmengen ("big data") nicht verpassen dürfe.
Das neue Zauberwort heißt deshalb "Anonymisierung". Firmen sollen auch in Deutschland große Mengen an Daten sammeln und auswerten können - gleichzeitig aber den Datenschutz wahren. Durch eine Verschlüsselung können dann etwa Rückschlüsse auf konkrete Personen verhindert werden.
Die Sammlung von Daten
Die Auswertung und Vernetzung großer Datenmengen wird als ein zentrales Geschäftsmodell in der digitalen Zukunft angesehen, bei dem große Profite winken. IT-Firmen und Regierung verweisen darauf, dass die Sammlung von Daten unabdingbare Voraussetzung etwa für die Entwicklung fahrerloser Autos sei. Dasselbe gelte für die zunehmende digitale Vernetzung der Fabriken.
Beim IT-Gipfel in Hamburg machte Merkel unlängst klar, übertriebene Daten-Sparsamkeit am Ende könne dazu führen, dass das Potenzial der Digitalisierung nicht in angemessenem Umfang genutzt werde. "Es ist vollkommen klar: Wenn ich ein Krebsregister erstellen oder Staumeldungen haben will, dann wird die Staumeldung nicht dadurch gut, dass ich möglichst wenige Autofahrer befrage, ob sie im Stau stehen." Ebenso seien für eine Krebsdatei möglichst viele Daten von Erkrankten erforderlich.
Wer nicht sammelt, wird abgehängt
Die Regierung treibt die Sorge um, dass Europa und Deutschland in diesem Sektor immer weiter hinter die USA und China zurückfallen. Denn in allen Lebensbereichen machen sich die digitalen Datensammler längst ans Werk - meist auf der anderen Seite des Atlantiks. Fast alle hierzulande genutzten großen sozialen Netzwerke sind letztlich amerikanisch.
Vom neuen EU-Kommissar für Digitales, Günther Oettinger, sind gar deutliche Klagen zu vernehmen, in Europa werde der Datenschutz derzeit über alles gestellt, während die damit verbundenen Nachteile für die Wirtschaft kaum gesehen würden. Es sei daher nötig, die eigenen Datenschutzansprüche ein wenig herunterzuschrauben. Die Kanzlerin wie auch Innenminister Thomas de Maiziere suchen inzwischen nach Wegen, große Datenmengen zu nutzen und gleichzeitig den Schutz persönlicher Daten zu sichern. Wie das genau geschehen soll, ist jedoch noch unklar.
In der Wirtschaft trifft das prinzipielle Umdenken auf offene Ohren. So fordert der Präsident des Brancheverbands Bitkom, Dieter Kempf, die Politik müsse dafür sorgen, dass vorhandene Daten auch genutzt werden könnten: zur Verkehrslenkung, zur Steuerung des Energieverbrauchs, zur Überwachung von Körperfunktionen oder für individualisierte Krebstherapien. Die wenig zeitgemäße "Datensparsamkeit", die die Zeitschrift "Economist" als deutsche "digitale Phobie" bezeichnet habe, müsse abgelegt werden. Stattdessen solle eine datenschutzrechtlich abgesicherte "Datenvielfalt" her.
Kempf und de Maiziere betonen daher, "Pseudonymisierung und Anonymisierung" könnten eine Lösung sein. Der Bitkom-Präsident verweist hierzu auf das simple Beispiel der Staumessung. Dabei ermittelt das Telefon eines Autofahrers, wie lange es von Stauanfang bis zum Stauende dauert. Anhand vieler solcher Daten lassen sich dann Empfehlungen für andere Reisende geben. Unnötig sei es dabei jedoch zu wissen, wem das Telefon genau gehöre. Allerdings: Eine Rückverfolgung komplett auszuschließen, dürfte schwierig werden.
Datenschutzrichtlinie soll kommen
Als entscheidende Voraussetzung dafür, Nutzung und Sicherheit zu kombinieren, wird in Berlin die europäische Datenschutzgrundverordnung gesehen, die möglichst im nächsten Jahr verabschiedet werden soll. Damit soll eine einheitliche Rechtsgrundlage für die EU im Umgang mit Daten geschaffen werden - und damit die Basis für die Aktivität diverser Internetdienste.
Deutschland setzt sich dafür ein, dass durch eine Öffnungsklausel den Mitgliedsstaaten erlaubt wird, strengere nationale Datenschutzbestimmungen im öffentlichen Bereich vorzusehen. Zudem soll sich jeder Bürger bei Datenschutzverstößen an die lokalen Behörden wenden können, auch wenn etwa ein soziales Netzwerk im Ausland beheimatet ist. Darüber hinaus sollen die außerhalb der EU agierenden Unternehmen verpflichtet werden, das Datenschutzrecht zu achten, wenn sie hier im Internet Geschäfte machen.
Wie sensibel das Thema ist, bekam die Bundesregierung unlängst im Zusammenhang mit der Debatte um die Pkw-Maut zu spüren. Der deutsche BKA-Chef Klaus Ziercke hatte gefordert, die elektronisch erfassten Autokennzeichen sollten in Ausnahmefällen auch zur Verbrecherjagd genutzt werden können. Doch die Aufregung war groß, so dass sich die Bundesregierung schnell den datenschutzrechtlichen Bedenken beugte und der Forderung eine klare Abfuhr erteilte.