Berlin. Die Auseinandersetzung in Deutschland zwischen Behörden und Medien über die Berichterstattung zur Arbeit der Geheimdienste hat einen neuen Höhepunkt erreicht: Die Bundesanwaltschaft leitete wegen des Verdachts auf Landesverrat ein Strafverfahren gegen Journalisten ein, wie eine Sprecherin der Behörde am Donnerstag in Karlsruhe mitteilte.
Den Verantwortlichen des investigativen Blogs "netzpolitik.org" wird vorgeworfen, in Berichten über den Verfassungsschutz Staatsgeheimnisse verraten zu haben. Das Internet-Portal hatte im Februar und April diesen Jahres über interne Pläne des Bundesamts für Verfassungsschutz zur nachrichtendienstlichen Auswertung von Internetkommunikation berichtet.
Der Artikel vom 25. Februar trug den Titel "Geheimer Geldregen: Verfassungsschutz arbeitet an Massenauswertung von Internetinhalten", der Artikel vom 15. April erschien unter der Überschrift "Geheime Referatsgruppe: Wir präsentieren die neue Verfassungsschutz-Einheit zum Ausbau der Internet-Überwachung".
Über die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft hatten zunächst "Süddeutsche Zeitung", NDR und WDR berichtet. Deren Angaben zufolge gab es seit Jahrzehnten kein derartiges Verfahren gegen Journalisten in Deutschland mehr.
Der Vorwurf des Landesverrats gegen Journalisten gilt als politisch heikel. Nach der "Spiegel"-Affäre Anfang der Sechzigerjahre, in der ein solcher Vorwurf erhoben wurde, hatten Juristen und Politiker eindringlich vor eine Drangsalierung des unabhängigen und kritischen Journalismus in Deutschland gewarnt. Dabei geht es immer um eine Abwägung zwischen strikter Geheimhaltung und dem zentralen Grundrecht auf Pressefreiheit.
"Knietief im NSA-Sumpf"
Die deutsche Bundesregierung will nach Ansicht des Gründers des Blogs Netzpolitik.org mit den Anzeigen wegen Landesverrats die Wahrheit über die deutsche Verstrickung in den NSA-Skandal unterdrücken. Es werde zunehmend klar, dass Berlin "knietief im Sumpf von NSA und Co" stecke, sagte Markus Beckedahl ARD-aktuell am Donnerstag.
"Wir haben jetzt den Verdacht, dass sie durch solche Strafanzeigen scharf schießen gegen diejenigen, die dazu beitragen wollen, diesen größten Überwachungsskandal in der Geschichte der Menschheit mit aufdecken zu wollen", fügte Beckedahl hinzu. Der deutsche Generalbundesanwalt hatte die Blogger über die Anzeige in einem Brief informiert, den Netzpolitik.org veröffentlichte.
"Wir werden uns nicht einschüchtern lassen", bekräftigte Beckedahl und kündigte die Veröffentlichung weiterer Dokumente an.
Netzpolitik.org ist einer der bekanntesten deutschsprachigen Blogs und wurde 2014 mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet. Die Blogger setzen sich für digitale Bürgerrechte ein. Sie berichten unter anderem in Echtzeit aus dem Geheimdienst- Untersuchungsausschuss des Bundestages.