Brüssel/Wien.  Der Geheimdienstexperte Siegfried Beer ist skeptisch, was jüngste EU-Pläne für einen intensiveren Datenaustausch unter den europäischen Diensten betrifft. Hindernisse sieht der Historiker von der Universität Graz unter anderem in den unterschiedlichen Traditionen der Geheimdienste der einzelnen Staaten und ihrem bisherigen Vorgehen, wie er am Freitag sagte.

Initiativen für eine verstärkte geheimdienstliche Zusammenarbeit seien traditionell von kleinen und mittleren Staaten ausgegangen, "und die großen haben gebremst - die Franzosen, die Briten". Die großen Staaten hätten "zu wenig Vertrauen": "Es ist zu wenig gute Erfahrung, auch in der Vergangenheit, vorhanden, man kennt sich zu wenig, es gibt keine Mechanismen."

Kleine und mittlere Staaten wollten mehr Kooperation, "auch aus einer Position der Schwäche, der Erkenntnis, dass man selbst zu schwach ist und die Großen braucht, und die Großen zögern. Und es ist die Frage, ob sich die Großen jetzt weichklopfen lassen - die Franzosen hätten jeden Grund dazu zu erkennen, da muss mehr her, denn das hilft auch uns."

Veränderungen seien freilich erfahrungsgemäß schwierig: "Die Dienste sind ja nichts Anderes als auch eine Bürokratie. Und ich glaube nicht, dass sie die flexibelsten Bürokratien sind in den einzelnen Staaten."

Die nationalen Geheimdienst-Kulturen seien "nicht angelegt auf diese Zusammenarbeit", sagte Beer, und verwies auch auf die Debatte über einen europäischen Geheimdienst: "Wir reden ja schon seit gut 15 Jahren über einen gemeinsamen europäischen Geheimdienst, wo diese Kooperation ausgebaut wird und sozusagen übergreifend wirkt, und es ist nichts weitergegangen, weil die Großen gebremst haben."

Der Druck werde jedoch steigen - auch angesichts der Gefahr weiterer Anschläge. Deshalb werde die Kooperation wohl verbessert werden, "aber es wird so wenig sein, dass es wieder nicht zielführend und wieder nicht effizient ist. Das ist meine Befürchtung."

Über die am Donnerstag von den EU-Ministern in Brüssel getroffene Übereinkunft zeigte sich Beer enttäuscht. Er kenne die Vereinbarungen nicht im Detail, doch seinem Eindruck nach sei das "unglaublich wenig in einer solchen Serie von Anschlägen": "Man kann sich etwas vornehmen, aber man muss es ja umsetzen, und das wird nicht leicht sein."

Auf die Frage, was im Zusammenhang mit den Anschlägen von Brüssel in geheimdienstlicher Hinsicht schiefgegangen sei, sagte Beer: "Da ist alles Mögliche schiefgegangen, aber es überrascht niemanden. Weil die Belgier wirklich ein großes Problem haben - strukturell und in Bezug auf Sicherheit überhaupt. Man kann nicht innerhalb von wenigen Wochen und Monaten korrigieren, was man jahre- und jahrzehntelang falsch gemacht hat."

Es gehe bei der Terrorbekämpfung auch um Kapazitäten. Die meisten europäischen Dienste hätten nicht die Kapazität, "die Zahl von potenziellen Terroristen wirklich zu überwachen", sagte der Direktor des "Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies" (ACIPSS) Beer, der hier ein personelles und finanzielles Problem sieht.

Geheimdienste machten "einen guten Job und verhindern viel, nur erfahren wir es nicht", unterstrich Beer. "Über Erfolge wollen sie nicht berichten. Das tut ihnen aber weh, weil das Image natürlich immer bei Misserfolgen leidet", so der Historiker. "Erfolge wollen sie wiederholen, und daher wollen sie nicht darauf aufmerksam machen. Da wollen sie die Methoden nicht freigeben, sie wollen die näheren Umstände nicht preisgeben, das ist begreiflich."

In der jetzigen Situation bedürfe es einer Entscheidung auf oberster Ebene. "Die Ministerpräsidenten der 28 Staaten müssen sich einigen: Wir wollen eine radikale Veränderung in der Sicherheit. Wir wollen möglichst viel gemeinsam vorgehen, wir wollen diese historischen Zweifel an Nachbarn überwinden - das ist ja eine Grundidee der Europäischen Union. Und dann müsste Druck entstehen; weiters müssten auch die Parlamente mitmachen. Und das wird schwierig."