Ankara/DenHaag/Berlin/Wien. (ag/is) Der Streit um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Europa ist auch in den Sozialen Medien angekommen. Mit Erdogan sympathisierende Hacker verbreiteten am Mittwoch über tausende Twitter-Konten Schmähungen gegen die Niederlande und Deutschland; betroffen waren unter anderem der TV-Sender ProSieben, das Magazin "Forbes", der Fußballverein Borussia Dortmund sowie Amnesty International. Auch auf verifizierten Accounts mit großer Followerzahl fanden sich Nachrichten mit den Hashtags #Nazialmanya und #Nazihollanda, einem Hakenkreuz-Symbol. Als Einfallstor wurde die App "The Counter" benützt, mit der die Twitter-Konten verknüpft waren. Nur dadurch konnten sich die Hacker Zugang zu so vielen Accounts auf einmal verschaffen. Die Tweets endeten mit dem Satz: "Wir sehen uns am 16. April." An diesem Datum steht in der Türkei das Referendum über das von Präsident Recep Tayyip Erdogan angestrebte Präsidialsystem an, das ihm Machtbefugnisse einräumt, die - mit Ausnahme des Wahlrechts - gewöhnlich in Diktaturen vorherrschen.

Wahlkämpfer Erdogan poltert weiter gegen EU-Kritiker - im Visier hat er auch Österreich. - © reu/Ozer
Wahlkämpfer Erdogan poltert weiter gegen EU-Kritiker - im Visier hat er auch Österreich. - © reu/Ozer

Verfasst waren die Anfeindungen der Erdogan-Sympathisanten auf Türkisch. Türkischen Medienberichten zufolge bekannte sich die Hackergruppe "Cyber Warrior" zu den Attacken. "Wir verurteilen das faschistische Vorgehen gegen unsere Minister in den letzten Tagen in Europa. Wie es unsere Mission hergibt, haben wir diesen Angriff ausgeübt und werden auch bis zum Schluss weitermachen", wurde die Hackergruppe zitiert.

Der Konflikt zwischen der Türkei und der EU war in den vergangenen Tagen eskaliert. Ankara hatte den Niederlanden und Deutschland "Staatsterrorismus" und "Nazi-Methoden" vorgeworfen, nachdem dort Wahlkampfveranstaltungen hochrangiger türkischer Politiker untersagt worden waren. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hatte sich bisher jedoch gegen ein ausdrückliches Einreiseverbot für türkische Spitzenpolitiker mit Wahlkampfambitionen ausgesprochen. Doch dies könnte sich angesichts der abfälligen und aggressiven Attacken in Richtung Deutschland ändern, warnte Kanzleramtsminister Peter Altmaier Ankara. "Dass die Bundesregierung bisher nicht ihre völkerrechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, ist keine Freikarte für die Zukunft."

Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Österreich verhindern will auf alle Fälle Bundeskanzler Christian Kern. Angesichts der Bilder aus Rotterdam warnte er vor bewussten Eskalationsversuchen. "Ich gehe davon aus, dass die türkische Seite möglicherweise dieses Spiel auch in Österreich fortsetzen könnte."

Nato-Partnerschaft: Muskelspiele gegen Österreich

Auch jenseits der jüngsten Debatte ist das Verhältnis zwischen beiden Ländern angespannt. Ende des Vorjahres hatte die EU auf Druck Österreichs auf die Eröffnung neuer Kapitel bei den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei verzichtet. Wien wollte auch die Gespräche über die bereits eröffneten Verhandlungsbereiche auf Eis legen. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) legte nun nach. In einem Strategiepapier zur österreichischen EU-Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr bezeichnete er einen Beitritt der Türkei als "undenkbar". Er verwies dabei auch auf das massive Vorgehen gegen Regierungsgegner nach dem gescheiterten Militärputsch im Juli, aber auch die "Provokationen" im Zusammenhang mit Wahlkampfauftritten türkischer Politiker in EU-Mitgliedsstaaten. Kurz will der Türkei statt des Beitritts einen Nachbarschaftsvertrag mit der EU anbieten.

Aus Protest gegen Österreichs Ankara-kritische Haltung blockiert die Türkei seit Monaten Ausbildungs- und Trainingsprogramme der Nato mit den Partnerländern, zu denen Österreich gehört. Das Verteidigungsbündnis bestätigte am Mittwoch einen entsprechenden Bericht der "Welt" (Mittwochausgabe). Im Verteidigungsministerium in Wien befürchtet man, dass die Blockade "längerfristig" Probleme für die Beteiligung an den Nato-geführten Einsätzen am Westbalkan bringen könnte. Beeinträchtigt oder gefährdet werden könnten auch Einsätze in Afghanistan oder im Mittelmeer sowie in Afrika und Asien. Betroffen ist vor allem das Programm "Partnerschaft für den Frieden" (PfP), das zunächst für osteuropäische Länder und ehemalige Sowjetrepubliken aufgelegt wurde. Dies führt dazu, dass die meisten der insgesamt 41 Partnerstaaten künftig nicht mehr zusammen mit den 28 Nato-Ländern trainieren oder ausbilden können. Österreich trat dem PfP 1995 bei.

"Die Türken haben kein Problem mit dem (Partnerschafts-)Programm", hieß es aus Nato-Kreisen. "Sie haben offen gesagt, dass sie ein Problem mit Österreich haben und dass es um eine Frage des Prinzips und der Außenpolitik geht." Demnach musste bereits ein Ausbildungslehrgang an der Nato-Militärakademie in Rom ohne Soldaten aus Partnerländern stattfinden. Daran hätten auch österreichische Militärangehörige teilnehmen sollen, hieß es. Laut "Die Presse" (Onlineausgabe) wurde auf Druck Ankaras auch österreichischen Offizieren die Akkreditierung im Brüsseler Hauptquartier verweigert und seien Sitzungen mit Partnerstaaten abgesagt worden. Der "Welt" zufolge warnten Schweden oder Finnland in Schreiben an Generalsekretär Stoltenberg bereits vor "sehr ernsthaften Konsequenzen der Blockade".